Seraina Roner Ganzoni und Chasper Roner haben viel Zeit auf der Alp Praditschöl verbracht.
Seraina Roner Ganzoni und Chasper Roner haben viel Zeit auf der Alp Praditschöl verbracht. © Jürg Wirth

Die Alp Praditschöl gehört fast zur Familie

Jürg Wirth Seit fast 80 Jahren geht Chasper Roner, Bauer im Ruhestand aus Scuol, immer wieder auf die Alp Praditschöl, eine Alpkorporation zwar, aber trotzdem «seine» Alp, respektive die seiner Familie. In der Zeit hat sich doch einiges verändert, wie er und seine Frau Seraina erzählen.

Chasper Roner (83) entstammt keiner Bauerndynastie, die bereits seit Generationen und Jahrhunderten den Boden unter den Pflug nahm und Vieh hielt. Erst sein Vater begann mit der Landwirtschaft, dabei hatte er Glück, dass die Mutter relativ wohlhabend war. Sie war es, die ihrem Sohn den sehnlichen Wunsch erfüllte, Landwirt zu werden. Kurzerhand kaufte sie ihm einen Bauernbetrieb im Dorf mit drei Wiesen dazu. Vier Kühe habe er gehalten, erinnert sich Chasper.

Dass die Familie wohlhabend war, stand jedoch längst nicht von Anfang an fest, erinnert sich Chasper und erzählt die Familiengeschichte. Seine Urgrossmutter verliebte sich in einen Italiener, der in Scuol wohnte, durfte ihn aber nicht heiraten. Die beiden bekamen gemeinsam ein Kind, die Heirat liessen die Eltern aber trotzdem nicht zu. Kurz darauf starb die Frau an gebrochenem Herz. Der Sohn, Chaspers Grossvater, wuchs darauf bei einer Tante auf, hatte aber ein glückliches Händchen bei der Partnerwahl. Er heiratete Margarita Crastan aus Sent, eine wohlhabende Frau, allerdings bereits 30 Jahre alt und deshalb mit nicht mehr so guten Aktien auf dem Heiratsmarkt. Gemeinsam führten sie in Scuol einen Kolonialwarenladen und hatten vier Kinder und der eine von ihnen, Chaspers Vater, wurde eben Bauer.

Die Alp Praditschöl um 1894.
Die Alp Praditschöl um 1894. © Aus «Istorgia da las alps in Val S-charl»

13 Alpen für Scuol

Bereits um 1800 bestiessen die Scuoler mit ihren Tieren diverse Alpen. 13 Alpen hätte Scuol damals gehabt, weiss Chasper Roner, alleine je drei davon in Praditschöl und in Tamangur. Schon damals sömmerten auf Praditschöl über 100 Kühe, wie dies heutzutage auch noch der Fall ist. Die Kühe waren fast alle vom rätischen Grauvieh. Allerdings gab es damals noch keine Melkmaschinen, dafür Alppersonal, welche die Kühe zweimal am Tag melkten. Zum Alppersonal gehörten ein Senn, ein Zusenn, ein Kuhhirt, der Stallputzer und ein «Trosser», dafür scheints keine deutsche Übersetzung zu geben. «Trosser» waren stets Knaben, die das Mädchen für alles gaben. Dazu kamen noch 300 Stück Jungvieh welche von zwei Hirten beaufsichtigt wurden.

Auch Chasper verdingte sich einen Sommer als Trosser auf der Alp in Ardez, 12 Jahre alt war er da. Er hatte 17 Ziegen zu melken, 30 Kälber zu hüten und überall zu helfen.

Noch viel jünger, nämlich erst sieben oder acht Jahre alt war er, als er zum ersten Mal mit seinen Brüdern die vier Kühe des väterlichen Betriebs auf die Alp trieb. Selbstverständlich ging man damals noch zu Fuss von Scuol aus. Gar aus dem Tirol andere Bauern mit Fremdvieh. Diese zogen quasi von hinten her, also über die Val Müstair auf die Alp. Als dann Anfangs des letzten Jahrhunderts aber die Maul- und Klauenseuche ausbrach, durfte kein ausländisches Vieh mehr auf der Alp sömmern.

Chaspers Vater wurde schon in jungen Jahren Präsident der Alp Praditschöl, Alpmeister, heisst das heute und blieb es rund 40 Jahre lang. Danach übernahm Chasper, obwohl die grosse Arbeit immer noch sein Vater gemacht habe, wie er etwas schelmisch meint.

Bereits damals erfreuten sich die Alpschweine eines schönen Sommers, ebenfalls auf der Alp Praditschöl.
Bereits damals erfreuten sich die Alpschweine eines schönen Sommers, ebenfalls auf der Alp Praditschöl. © Aus «Istorgia da las alps in Val S-charl»

Die Liebe zur Alp

Gekäst wurde auch schon immer auf Praditschöl, wie gut der Käse geworden sei, habe immer am Käser gelegen, so wie heute auch noch. Doch erst seit etwa zehn Jahren wird die ganze Milch auf der Alp verkäst. Vorher holten die Bauern immer Milch raus und verkauften sie. Erst in St. Moritz an die Hotels, später dann an die Lesa in Bever. Auch Chasper begleitete erst noch mit Ross und Wagen rein, um Milch zu holen, später wurde diese Arbeit einem kleinen Unternehmen übergeben.

Doch Chasper Roner fuhr nicht nur auf die Alp um Milch zu holen. «Wir waren so oft auf der Alp», erzählt Seraina Roner Ganzoni. Fast jedes Wochenende seien sie dort gewesen, auch schon als die Kinder noch klein waren. Sie hätten gegessen, gelacht, genossen und dann im Heu geschlafen. «Die Alp ist uns richtig ans Herz gewachsen, ja ist fast schon Teil der Familie geworden», sagt sie weiter. Und dies nicht nur, weil mit Schwiegersohn Grazian Conrad bereits wieder einer aus der Familie Roner Alpmeister ist.

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