Weihnachten ist eigentlich ein ruhiges Fest

Jürg Wirth Marianne Strub ist seit viereinhalb Jahren Pfarrerin in Ardez. Im Gespräch verrät sie, wie man durch schwierige Zeiten kommt und wie Weihnachten trotz allem ein schönes Fest werden kann.  

Hilft Beten gegen Corona?

Möglicherweise nicht so direkt, wie wir es uns manchmal wünschen. Aber Beten hilft, ruhig zu werden und Kraft zu schöpfen, und das ist sicher wichtig in dieser komplizierten Zeit.

 

Aber «wegbeten» lässt sich Corona nicht?

Nein, das sicher nicht, aber Kraft gibt Beten. Das spüre ich auch selber, auch für mich ist Beten eine grosse Kraftquelle und ich denke, dass Beten auch die Resilienz, sprich die psychische Widerstandskraft fördert.

 

Brauchen denn die Leute in diesen Zeiten mehr seelische Unterstützung?

Das ist schwierig zu sagen. Während des ersten Lockdowns habe ich viele Telefonate gemacht und nachgefragt, wie es den Leuten geht. Im Gegenzug habe ich auch viele Anrufe bekommen.

 

Die Leute fragten, was sie machen könnten?

Eher weniger, es ging mehr darum, miteinander Gespräche zu führen oder herauszufinden, wie man mit dieser Situation umgehen soll.

 

Und wie soll man mit dieser Situation umgehen?

Wichtig scheint mir, dass man zu sich selber Sorge trägt, auch zum seelischen Wohl. Dazu hilft es, wenn man eine Struktur in den Tag bringen kann, das war vor allem beim Lockdown wichtig, wo viele nicht mehr arbeiten konnten oder dies von zu Hause aus tun mussten.

Dann ist es sicher wichtig, dass man sich aus den Medien gut informiert, aber man soll sich auch nicht zu stark von all den Meldungen überfluten lassen und sich auf jeden Fall auch noch mit anderen Themen als nur Corona beschäftigen.

Wichtig ist auch, dass man das Gespräch mit anderen Leuten sucht, wenn einem nach Reden ist. Das kann auch am Telefon sein.

 

Spüren Sie bei der zweiten Welle einen Unterschied in der Reaktion der Leute?

Mich dünkt die zweite Welle eher schwieriger, auch was die Reaktion der Leute angeht. Wohl weiss man aufgrund der ersten Welle ungefähr, was auf einen zukommt, jedoch hat man keine Ahnung, wie lange das dauern wird. Dazu kommt, dass die erste Welle im Frühling stattfand und nachher der Sommer kam. Jetzt folgt nachher der Winter mit wenig Tageslicht.

 

Das heisst, wir stehen vor einer längeren Durststrecke?

Da wage ich keine Prognosen. Doch auf jeden Fall ist es schwierig und zehrend, mit der Ungewissheit umzugehen. Wenn wir genau wüssten, wie lange das dauert, wäre es vielleicht einfacher.

 

Wie gehen Sie selber mit dieser Situation um?

Rein beruflich versuche ich kreativ zu sein und neue, andere Wege zu suchen und zu finden. Immer wieder geleitet von der Frage, was sich die Menschen jetzt von der Kirche wünschen für diese Zeit und was ihnen guttut. Bei der ersten Welle habe ich zudem gelernt, immer auch einen Plan B im Hinterkopf zu haben. So haben wir an Pfingsten beispielsweise den Gottesdienst aufgenommen und dann übers Netz ausgestrahlt.

Auch jetzt halten wir die Kirchenräume immer offen und versuchen verschiedene Einrichtungen offenzuhalten und auf Anmerkungen einzugehen, auf dass die Leute unter der Woche in die Kirche gehen und sich dort mit Gott, den Mitmenschen oder mit dem, was sie sonst suchen, befassen können.

 

Wie sieht es bei Ihnen privat aus?

In meiner Familie reden wir immer wieder über diese Situation und auch darüber, wie es uns geht. Dann achte ich darauf, dass ich viel frische Luft bekomme und so häufig wie möglich draussen bin.

Persönlich hilft es mir auch, mir immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass dies für uns alle das erste Mal ist, dass wir so etwas erleben und dass wir alle nach Wegen suchen müssen, wie wir mit der Situation umgehen. Es gibt keine fertigen Lösungen. 

 

Leute bräuchten jetzt ja auch Nähe, diese kann aber nicht gegeben werden?

Das ist tatsächlich sehr schwierig. So darf man beispielsweise an einer Beerdigung nicht kondolieren und dabei die Hand geben. Trotzdem sollten wir nach Wegen suchen, wie wir in der Distanz Nähe schaffen können und miteinander verbunden bleiben können.

 

Sind Kirchen jetzt voller?

Nicht unbedingt. Sie sind auch darum nicht voller, weil sich momentan viele Leute gar nicht trauen, in die Kirche zu gehen. Ich bin aber sehr froh, dass wir gemeinsam Gottesdienste feiern dürfen, um in unseren Gedanken und Gebeten miteinander verbunden sein zu können.

 

Die Leute sind religiöser geworden?

Das ist schwierig zu beurteilen, aber interessant ist schon, dass die Online-Angebote der Kirchen vor allem während des Lockdowns sehr stark genutzt worden sind. Auch in unserer Region mit eher analogen Angeboten haben wir in dieser Zeit Zeichen bekommen, dass diese geschätzt werden.

 

Weshalb sollten Leute in die Kirche gehen oder beten?

Weil man dort Gemeinschaft erfährt. Gott ist immer da und begleitet einen auf seinem Weg. Man merkt dann auch, dass man nicht immer alles alleine stemmen muss, sondern auch mal etwas abgeben kann. Das Zurückgebunden sein an etwas Grösseres erlebt man in der Kirche stark, und das kann Kraft und Halt geben. Glaube, Gebet und Rituale sind Quellen von Kraft.

 

Versuchen Sie auch, Leute von Gott und dem Glauben zu überzeugen?

Nein. Denn der Glaube hat mit Schenken und Empfangen zu tun, dieser Vorgang bleibt geheimnisvoll und unverfügbar. 

 

Weshalb gehen nicht mehr so viele Leute in die Kirche oder suchen Halt in anderen Dingen?

Darauf habe ich keine abschliessende Antwort. Grundsätzlich sind es die Menschen gewohnt, ihr Leben nach ihren eigenen Interessen und Bedürfnissen zu leben. Deshalb möchten sie auch einen Glauben, der auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.

 

Finden Sie das schade?

Klar finde ich das schade. Denn bei uns haben Kirche und Glaube viel mit Gemeinschaft zu tun. Und zwar nicht nur mit unserer Gemeinschaft hier vor Ort, sondern auch mit unseren Mitmenschen auf der ganzen Welt. Deshalb ist es schade, wenn das kirchliche Leben an Beteiligung verliert. Wenn die Leute woanders nach Sinn und Halt suchen, ist das nicht so ein Problem, wenn sie dann aber dafür die christliche Gemeinschaft aufgeben, schon.

 

Was sagen Sie denen, die woanders Halt suchen?

Dass ich es wichtig finde, dass man Formen und Orte sucht, um seine Religiosität zu leben und dass die Kirche für alle offen ist. Wenn ganz viele Leute aus der Kirche austreten, würde ich mir aber schon Gedanken machen. Jeder Austritt macht mich nachdenklich.

 

Weihnachten könnte ein einsames Fest werden?

Das ist so, deshalb sollten wir das geniessen, was wir geniessen können und nicht das bedauern, was dann nicht geht. Fühlt man sich stark einsam, soll man nicht zögern, telefonischen Kontakt aufzunehmen, entweder mit Bekannten oder speziellen Einrichtungen.

Zudem kann man die Lichter während der Weihnachtszeit geniessen. Gerade hier bei uns ist es eine schöne Tradition, dass viele Leute Lichter und Kerzen vors Haus stellen. Das verbreitet Weihnachtsstimmung und stärkt die Verbundenheit untereinander.

Denn Weihnachten ist eigentlich ein ruhiges Fest. Vielleicht sind wir dieses Jahr speziell eingeladen, uns zu besinnen und Kraft aus der Ruhe schöpfen. 

 

Was raten Sie alleinstehenden Menschen?

Dass Telefonieren jederzeit möglich ist, aber auch Briefe schreiben oder Mails schicken. Auch die Kirchentüren stehen immer offen.

 

Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?

Gesundheit für den Körper und die Seele für uns Menschen und Heilung für die Natur. 

 

Marianne Strub ist Pfarrerin und lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Ardez. Sie arbeitet seit viereinhalb Jahren in der Kirchgemeinde Ardez-Ftan-Guarda. Zuvor lebte sie neun Jahre lang in Mexiko, wo sie in einem Partnerprojekt des DM-échange et mission tätig war.

Für Marianne Strub hilft Beten, Kraft zu schöpfen und ruhig zu werden.
Für Marianne Strub hilft Beten, Kraft zu schöpfen und ruhig zu werden. © Jürg Wirth

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