Der Steinschmätzer (hier ein Weibchen) ist auf dem Munt la Schera die häufigste Brutvogelart.
Der Steinschmätzer (hier ein Weibchen) ist auf dem Munt la Schera die häufigste Brutvogelart. © Michael Gerber

Drei Jahrzehnte Überwachung der Vogelbestände im Schweizerischen Nationalpark

Mathis Müller Seit 30 Jahren werden im Schweizerischen Nationalpark (SNP) die Brutvögel systematisch auf drei Dauerbeobachtungsflächen kartiert. Wenn auch einige Arten von Jahr zu Jahr stark schwanken, blieben die Bestände mehrheitlich über all die Jahre stabil, mit einigen wenigen positiven und negativen Ausnahmen. Dieser Bericht stellt im Überblick einige Resultate vor und zeigt auf, wie sich die Vogelbestände über Jahrzehnte in einem Gebiet entwickeln, das vom Menschen weitgehend unberührt ist.

Monitoringprojekt Avifauna

Bevor die schweizweiten Monitoringprojekte (Vögel, Tagfalter, Pflanzen u. a.) des Bundes 1997 starteten, installierte die Schweizerische Vogelwarte im Unterengadin und im Nationalpark Dauerbeobachtungsflächen, um die Entwicklungen der Vogelbestände festzuhalten. Auf dem Munt la Schera (86 ha) wurden ab 1993, im God la Schera (58 ha) und auf Stabelchod (89 ha) ab 1997 alle Brut- und Gastvögel gezählt, die wir im Verlaufe eines Morgens beobachteten oder hörten. Guido Ackermann und Hannes Jenny kartierten von 1993 – 1999, Mathis Müller von 1997 – 2023, Markus Leuenberger von 1997 – 1999, Ruedi Wüest von 2000 – 2011, Heidi Schuler 2004 und Hannes von Hirschheydt von 2012 – 2017. Von 1993 – 2017 kartierten wir jede Untersuchungsfläche (UF) sechs Mal während der Brutsaison von Mitte Mai bis anfangs Juli, danach noch drei Mal. Insgesamt registrierten wir so in all den Jahren über 63‘000 Vögel und 86 verschiedene Vogelarten. Die Bedeutung von Dauerbeobachtungsflächen als Grundlage der Vogelkartierung liegt darin, dass von den Resultaten direkt auf die Siedlungsdichte der Vögel im entsprechenden Lebensraum geschlossen werden kann.

Eine der wenigen Arten, die in ihrem Bestand im SNP in den letzten Jahrzehnten signifikant abnahm, ist die Ringdrossel (hier ein Weibchen).
Eine der wenigen Arten, die in ihrem Bestand im SNP in den letzten Jahrzehnten signifikant abnahm, ist die Ringdrossel (hier ein Weibchen). © Michael Gerber

Alpine Rasen, Fels und Schuttfluren auf dem Munt la Schera

Auf der alpinen Fläche Munt la Schera schwankten die Gesamtbestände zwischen 34 – 71 Revieren (R). Je nach Ausaperung siedelten sich mehr oder weniger Brutvögel an. Am häufigsten sind hier oben der Steinschmätzer (im Mittel aller Jahre 20 R) und der Bergpieper (16 R) anzutreffen. Die mittlere Siedlungsdichte dieser beiden Arten beträgt demnach 2.3 R/10 ha bzw. 1.8 R/10 ha. Zusammen mit den viel weniger dicht besiedelten Schutthalden brüten oberhalb der Waldgrenze etwa 1200 Steinschmätzer- und 1000 Bergpieperpaare im SNP. Besonders negativ zu vermerken ist der Rückgang der Feldlerche. Zu Beginn mit 2 – 11 R brütend, nahm ihr Bestand kontinuierlich ab. Seit 2011 brütet sie nicht mehr.

Aussergewöhnliche Vorkommen konnten vom Brachpieper (2002 – 2010) und vom Steinrötel (1993) verzeichnet werden. Ab Mitte Juli 2022 konnten warnende Mornellregenpfeifer wahrgenommen werden, was auf eine Brut knapp ausserhalb der UF hindeutet. Die Vogelbestände blieben über all die Jahre stabil mit leicht positiver Tendenz (mit Ausnahme der Feldlerche). So auch beim Alpenschneehuhn mit drei bis zehn rufenden Hähnen (dritthäufigste Art). Eine Analyse der Höhenverbreitung der Arten steht noch aus. Es bleibt jedoch der Eindruck, dass die mittlere Höhenlage der Reviermittelpunkte der drei häufigsten Arten sich nach oben verschoben hat. Das heisst, die in den letzten Jahren zunehmenden Steinschmätzer und Bergpieper besetzen immer mehr auch höherliegende Reviere.

Der Munt la Schera ist Lebensraum zahlreicher alpiner Vogelarten.
Der Munt la Schera ist Lebensraum zahlreicher alpiner Vogelarten. © SNP, Hans Lozza

Subalpine Nadelwäder Stabelchod und God la Schera

Welcher Brutvogel ist nun die häufigste Art im Nationalpark? Von den Grosslebensräumen des Nationalparks nehmen die subalpinen Nadelwälder 28 % der Fläche ein, alpine Matten 21 % und vegetationsfreie Schuttfluren, Felsen und Hochgebirge 51 %. Auf den beiden UF Stabelchod (Bergföhrenwald) und God la Schera (Bergföhren-Fichtenwald mit Lärche) brüten Tannenmeise und Buchfink mit etwa 5.5 R/10 ha Fläche fast gleich häufig. Sie sind die weitaus häufigsten Vögel im Wald, sowohl ausserhalb als auch im SNP selber. Hochgerechnet brüten demnach rund 1950 Tannenmeisen- und Buchfinkenpaare im SNP. Auf der anderen Seite der Häufigkeitsskala kommen in den beiden Waldflächen auch ganz seltene Arten vor, die nur in ganz wenigen Jahren festgestellt wurden. Zu diesen gehören zum Beispiel Kuckuck, Waldohreule, Habicht, Wendehals, Berglaubsänger, Schwanzmeise, Grauschnäpper oder der Kernbeisser. Es gibt auch Arten, die in ihrem Bestand von grossen jährlichen Bestandsschwankungen betroffen sind. Zu diesen Arten gehören das Rotkehlchen und das Wintergoldhähnchen mit gelegentlich null Revieren in den Waldflächen. Insgesamt wurden seit 1993 64 Brutvogelarten und 22 weitere Arten (Gastvögel und überfliegende Arten) in den drei UF festgestellt. Zu letzteren gehören zum Beispiel der Kiebitz, der Bartgeier, der Wanderfalke oder der Pirol. Positive Bestandsentwicklungen konnten wir bei Kleiber, Singdrossel, Klappergrasmücke und Gimpel feststellen, negative bei Ringdrossel und Feldlerche. Der Gartenrotschwanz besiedelte Stabelchod von 2002 – 2015 mit maximal 6 Revieren, konnte sich aber hier nicht etablieren und verschwand wieder.

Im Bergföhrenwald im SNP liegt und steht viel Totholz; entsprechend hoch sind die Bestände der Höhlenbrüter.
Im Bergföhrenwald im SNP liegt und steht viel Totholz; entsprechend hoch sind die Bestände der Höhlenbrüter. © Mathis Müller

Persönliches Fazit

Die Rückschau meiner vieljährigen Forschungsarbeit im SNP ist geprägt von unzähligen und unvergesslichen Naturerlebnissen auf jeder Kartierung, von vielen einmaligen Begegnungen mit Tieren, aber auch Menschen und vielen überraschenden Entdeckungen. Dafür danke ich dem SNP und der Schweizerischen Vogelwarte herzlich.

Ein ausführliches Interview mit Mathis Müller erscheint in der aktuellen Nationalparkzeitschrift CRATSCHLA 1/24.

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