Dank den Drohnen können jedes Jahr rund 170 Rehkitze hier in der Region gerettet werden.
Dank den Drohnen können jedes Jahr rund 170 Rehkitze hier in der Region gerettet werden. © Armon Schlegel

Drohnen retten Rehkitze

Jürg Wirth Im Frühsommer ist die Setzzeit der Rehe. Damit deren Kitze nicht vermäht werden, haben die Jäger*innen eine Rehkitzrettung aufgezogen. Dabei suchen sie die Wiesen mithilfe von Drohnen mit integrierter Wärmebildkamera ab. Bis zu 170 Rehkitze jährlich retten sie dabei in dieser Gegend.

«Drohnen pilotieren ist in etwa wie Auto fahren – die ersten paar Mal ruckelt es noch, aber dann geht es immer besser.» Armon Schlegel bilanziert nicht nur seine Anfänge als Drohnenpilot, sondern auch die der anderen. Die anderen, das sind rund 150 Jäger*innen, denen Schlegel das Drohnenfliegen beigebracht hat. Dabei lernen sie nicht, gewöhnliche Drohnen zu steuern, sondern solche mit integrierter Wärmebildkamera. Denn Schlegel und seine Leute fliegen nicht zum Spass, sondern um Leben zu retten – die Leben von Rehkitzen. Die sind vor allem im Frühsommer akut gefährdet. 

Dann «setzen» ihre Mütter die Jungen ins hohe Gras, so heisst das Gebären bei den Rehen. Dort sind sie perfekt vor Füchsen und anderen Räubern geschützt, wegen ihres «Duckinstinkts». Heisst, sie ducken sich bei Gefahr und verweilen mucksmäuschenstill. Das hilft wohl gegen wilde Tiere, nicht aber gegen Mähmaschinen. 

Selbst getüftelt

Deshalb hat Armon Schlegel vor rund fünf Jahren die Initiative ergriffen. Ihn störte, dass immer wieder Kitze vermäht wurden. Dies, obwohl die Bäuer*innen versicherten, zu «verblenden» und die Anzahl trotzdem erwischter Jungtiere auf eine Handvoll schätzten. Schlegel argumentiert für sein Vorgehen auch mit dem Tierschutzgesetz, das verbietet, einem Tier übermässiges Leid zuzufügen und es zu quälen. «Es ist eine ethisch-moralische Frage, wie ein Tier stirbt», resümiert er, der ebenfalls Jäger ist und wenn schon, dann auf einen «schönen Schuss» setzt. Sie würden die Tiere auch nicht suchen, damit sie sie dann im Herbst selber erlegen könnten, sondern um ihnen Leid zu ersparen.

So tüftelte Schlegel jahrelang an einer Drohne mit integrierter Wärmebildkamera. Während diese fliegt, projiziert sie ihre Aufnahmen auf den Bildschirm des Piloten oder der Pilotin und auf diejenigen der Helfer*innen. Tatsächlich sei die Bildinterpretation nicht ganz einfach, weist Schlegel auf eine grosse Herausforderung hin. Es brauche Übung, ein liegendes Rehkitz von einem Ameisenhaufen oder auch einem warmen Stein unterscheiden zu können, schliesslich strahle ein Kitz auch nur etwa 22 Grad ab. Nichtsdestotrotz entdeckten sie bereits im ersten Flugjahr 36 Jungtiere.

Frühaufsteher*innen

Morgens um 4.00 Uhr starten die Teams zur Suche, dann unterscheidet sich die Körpertemperatur der Kitze ausreichend von derjenigen der Umgebung. Ein Team besteht aus einem Piloten oder einer Pilotin und einem oder zwei Helfer*innen, welche die gefundenen Tiere mit einer Holzharasse zudecken, bis die Bäuer*innen gemäht haben. Grundsätzlich suchen sie alle Wiesen ab, welche die Bäuer*innen anmelden. Zu Beginn des Projektes seien diese oft auch noch dabei gewesen, deren Anwesenheit habe aber etwas abgenommen, weiss Schlegel. 

Die meisten Pilot*innen seien berufstätig und müssten nach ihrem Rettungseinsatz zur Arbeit, weshalb Schlegel auch Frühpensionierte oder junge Pensionierte sucht, die Drohnen pilotieren wollen. Eine gewisse Agilität sei dabei Voraussetzung, schliesslich kosten die Drohnen rund CHF 8000. Da komme ein Absturz oder ein Flug gegen einen Baum teuer zu stehen. 

Mittlerweile ist der Kanton mit von der Partie und kommt für die Fluggeräte auf. In den Jagdbezirken von Samnaun bis ins Val Müstair steuern rund 30 Pilot*innen ihre Fluggeräte über die Wiesen und bewahren etwa 170 Rehkitze pro Jahr vor einem qualvollen Tod. Um mehr Freiwillige für die Rettungsaktionen zu mobilisieren, engagiert sich seit diesem Jahr auch die Gruppa Dürabilità für die Suchen. In der losen Gruppierung setzen sich Einheimische, Zweitheimische und Gäste dafür ein, die Wohn- und Ferienregion Engadin Samnaun Val Müstair in ökologischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Sicht weiterzuentwickeln.

Pilotieren respektive Autofahren lohnt sich also, denn, wie hat Armon Schlegel festgestellt: «Schaut dich ein Rehkitz mit seinen grossen, braunen Augen an, ist das sehr rührend und drückt dem einen oder der anderen Tränen in die Augen».

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