Der Chalandamarz ist das Volksfest im Engadin und Val Müstair, wird aber in jedem Dorf etwas anders gefeiert und mit anderen Accessoires.
Der Chalandamarz ist das Volksfest im Engadin und Val Müstair, wird aber in jedem Dorf etwas anders gefeiert und mit anderen Accessoires. © Andrea Badrutt, Chur

Was es wo für den Chalandamarz braucht

Jürg Wirth Am 1. März feiern die Kinder aus dem Engadin und Val Müstair den Chalandamarz. Wie es sich für die föderale Struktur unseres Landes gehört, sehen die Festivitäten überall anders aus. Die Accessoires aber sind vielerorts dieselben. Eine Aufstellung.

Zu Beginn stellt sich etwa die Frage, welches denn das wichtigste Accessoire ist respektive womit diese Aufzählung beginnen soll. Doch nach kurzem Überlegen gibt es eigentlich nur eines, das überall vorkommt und im Zentrum des Brauches steht, spätestens seit dem Buch «Schellen-Ursli».

Die Glocke

Glockenschwingend bewegen sich die Kinder in Umzügen durch die jeweiligen Dörfer und vertreiben den Winter oder feiern, je nach Perspektive, Neujahr nach gregorianischem Kalender. Dank des Buchs «Schellen-Ursli» ist die Glocke in die Geschichte eingegangen und vor allem auch ihre Grösse. 

Fast in allen Dörfern laufen die Kinder mit sogenannten «Plumpas» durch die Gassen. Das sind die runden, bauchigen Glocken aus Metall. In Lavin allerdings gibt es zwei Umzüge: einen am 1. März, also an Chalandamarz, und einen am darauffolgenden Sonntag. Dort tragen die jüngeren Kinder sogenannte «Brunzinas». Das sind die kegelförmigen, gegossenen Glocken.

In Zernez wiederum ziehen die Knaben morgens um vier Uhr mit «Talocs» oder Froschmaulglocken durchs Dorf. Froschmaul deshalb, weil die Glocken die Form einer rechteckigen Pyramide haben und die Öffnung einem Froschmaul ähnelt.

In Lavin beispielsweise verteilt das älteste Kind die Glocken ebenfalls nach Alter, und in dieser Reihenfolge marschieren die Kinder dann auch am Umzug mit. In Zernez wiederum gilt das Recht des Stärkeren und analog zum Buch marschiert dieser (eigentlich sind es immer Knaben) zuvorderst. Allerdings sei diese Position gar nicht mehr so beliebt bei den Eltern, weil grosse Glocken ziemlich blaue Flecken und andere Blessuren zurücklassen können.

Weil die wenigsten Eltern oder Kinder die Glocken zu Hause haben, holen sie diese vorher bei den Bäuer*innen ab.

Kommt zur Anwendung: Überall, wo Chalandamarz gefeiert wird, ausser in Ftan.

Universell in der Verwendung und überall anzutreffen ist dann auch ...

 

Die Glocken sind essenzieller Bestandteil des Chalandamarz.
Die Glocken sind essenzieller Bestandteil des Chalandamarz. © Jürg Wirth

... die blaue Bluse

Sie war ursprünglich wohl ein «Bauernkutteli», einfach in Blau, im Gegensatz zu den weissen der Wildheuer in der Innerschweiz. Früher, also vor 50 Jahren oder weniger, gingen die Kinder ohne Bluse und fixe Kleidung an den Umzug. Heutzutage aber tragen die Kinder in allen Dörfern am Chalandamarz-Umzug die blaue Bluse. Meist ist diese vor allem an Hals und Brust noch mit feinen Stickereien verziert. Muss man die Bluse neu kaufen, übersteigt das die Preise bei H&M oder anderen ähnlichen Handelsketten bei weitem. Deshalb ist es ratsam, sich frühzeitig nach gebrauchten Blusen umzuschauen, die eigenen tunlichst aufzubewahren und innerhalb der Familie weiterzugeben.

Kommt zur Anwendung: Überall, wo Chalandamarz gefeiert wird, ausser in Ftan.

Genauso universell wie die Glocke und die blaue Bluse ist ...

... die rote Zipfelmütze

Auf alten Bildern sieht man häufig noch Kinder mit schwarzen Zipfelmützen oder einfach irgendwelchen Kappen. Weil sie damals aber noch keine blauen Blusen trugen, fiel die Farbe der Kopfbedeckung auch noch nicht so ins Gewicht. Heute aber, im Zeitalter der blauen Blusen, macht sich die Farbkombination Blau-Rot deutlich besser als Blau-Schwarz. Deshalb hat sich die rote Zipfelmütze in praktisch allen Gebieten durchgesetzt. Das heisst aber noch lange nicht, dass deswegen alle Kinder rote Zipfelmützen tragen. Je nach Ort und Hierarchie tragen die vordersten respektive ältesten eher eine Art Hirtenhüte oder steife Hüte aus der Feuerwehr.

Kommt zur Anwendung: Überall, ausser in Ftan; überall jedoch noch in Kombination mit anderen Kopfbedeckungen.

Weil Chalandamarz eine schöne Veranstaltung ist, sind auch die Dekorationen wichtig. Fast die wichtigsten darunter sind ...

... die Rösas

Was Rösas auf Deutsch heisst, dürften auch nicht Romanisch sprechende Menschen verstehen. Schon Wochen im Voraus – meist in der Schule – beginnen die Kinder damit, die Rösas zu basteln, also die Papierblumen. An einigen Schulen basteln auch die Kinder Rösas, die an ihrem Umzug gar keine mitführen. Die Rösas bestehen aus Krepppapier, und der Stiel ist ein dünner Blumenbindedraht. An den meisten Umzügen schmücken die Rösas nachher die Hüte, die Kutten, allerlei Gefährte oder später die Tische an den Bällen.

Kommt zur Anwendung: Praktisch überall, wo Chalandamarz gefeiert wird, ausser in Ftan und in Lavin.

An diesem Ort der Aufzählung der Accessoires wäre das kleinste gemeinsame Vielfache erreicht und die folgenden Dinge kommen nur noch partiell zum Einsatz. So zum Beispiel ...

Die Rösas machen sich auf allen Kopfbedeckungen gut.
Die Rösas machen sich auf allen Kopfbedeckungen gut. © Andrea Badrutt, Chur
Aus Krepppapier und Blumenbindedraht lassen sich kunterbunte Rösas erstellen.
Aus Krepppapier und Blumenbindedraht lassen sich kunterbunte Rösas erstellen. © Jürg Wirth

... die Peitsche

Sie ist ein durchaus gern gesehenes Accessoire; dort, wo sie denn zum Einsatz kommt. Allerdings ist der Umgang damit nicht ganz ungefährlich, wie der eine oder andere Striemen am Körper der Peitschenden dokumentiert. Dies aber tut ihrer Beliebtheit keinen Abbruch. In Zernez beispielsweise dürfen die Kinder vom 1. Februar bis zum 1. März die Peitsche schwingen respektive damit knallen. Denn das ist der eigentliche Zweck des Peitschens, diese so kunstvoll und rasant zu führen, dass am Schluss ein lauter Knall resultiert. In Scuol gibt es dazu nach dem Umzug einen eigenen Wettbewerb, wo die lautesten Knaller*innen erkoren werden. 

Wer etwas auf sich hält, nimmt dazu nicht irgendeine Peitsche, sondern eine der Sattlerei Pitsch in Müstair, in liebevoller Handarbeit hergestellt. Dabei muss es ja nicht immer unbedingt eine neue sein, denn auch bei den Peitschen gibt es mittlerweile einen Secondhand-Markt. Rumfragen und Augen und Ohren offen halten, lohnt sich auch hier.

Was es auch noch gibt, allerdings nur in Ftan, ist ...

Mit Peitschen wird der Winter vertrieben.
Mit Peitschen wird der Winter vertrieben. © Andrea Badrutt, Chur
Möglichst laut soll am Chalandamarz gepeitscht werden.
Möglichst laut soll am Chalandamarz gepeitscht werden. © Jürg Wirth

... die Schweineblase

In Ftan wird der Chalandamarz etwas anders begangen als in den anderen Dörfern. Dort wird eine reichlich wilde Variante gepflegt. Dabei verkleiden sich alle Kinder, und die Knaben tragen aufgeblasene Schweineblasen mit sich. Diese schlagen sie sich dann gegenseitig um die Ohren, gerne auch den Mädchen, was dann auch als kleiner Liebesbeweis gesehen werden kann.

Selbstverständlich gibt es noch viel mehr Accessoires, welche von Umzug zu Umzug und von Ort zu Ort variieren. Zum Beispiel Rätschen, Kummet mit Glocken, Karren und Wägelchen und vieles mehr. Am besten ist, man begibt sich selbst auf Forschungsreise und besucht die verschiedenen Umzüge. Weil alle am selben Tag stattfinden, muss man dafür allerdings einige Jahre einrechnen.

Die Accessoires unterscheiden sich teils von Dorf zu Dorf.
Die Accessoires unterscheiden sich teils von Dorf zu Dorf. © Dominik Täuber

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