Die geheimen Gästekarteien des Hotels Waldhaus

Jürg Wirth Das Buch «Keine Ostergrüsse» bietet einen vertieften Einblick in den Kurtourismus im 20. Jahrhundert – und in das Customer-Relationship-Management jener Zeit. Erschienen ist das Werk in der Edition Patrick Frey, als Herausgeber fungieren Andrea Kühbacher, Rolf Zollinger und Lois Hechenblaikner.

«Nette alte Damen, mit viel Geld; für die Musik geben sie es lieber aus als für das Hotel.» «Hat einen kleinen oiseau, aber sonst ganz nett.» «Glanzgast, Nett & zufrieden», «Lückenbüsser», «ekelhafter Nörgler aus Ungarn. Hat besonders wegen der Küche ständig etwas zu reklamieren.»

So sah das Customer-Relationship-Management anfangs des 20. Jahrhunderts aus. Die oben erwähnten Einträge stammen alle aus der Gästekartei des Hotels Waldhaus in Vulpera. Der Hartnäckigkeit des Fotografen Lois Heckenblaikner ist es zu verdanken, dass dieser Schatz und Zeitzeuge nun gehoben werden konnte. Gemeinsam mit Rolf Zollinger, dem letzten Direktor des Waldhauses in Vulpera, und der Historikerin Andrea Kühlbacher hat er das Buch «Keine Ostergrüsse mehr – die geheime Gästekartei des Grand Hotel Waldhaus in Vulpera» im Verlag Patrick Frey und mit einer Erzählung von Martin Suter herausgebracht.

«Grosser Spinner, Abreisedatum genau festlegen», «parkiert seinen Alfa Romeo neben Villa Post und weckt mit seinem Start um 6.00 die Gäste», «Findet die Uniformen unsere Chasseure schäbig, womit sie recht haben dürfte. Ob wir dieselben von PKZ beziehen?» PKZ steht hier für Paul Kehl Zürich, einer Kleiderfabrik aus Zürich, die 1881 gegründet wurde und noch heute als Schweizer Modehauskette existiert. Beschrieben sind die Karten allesamt mit Schreibmaschine, und dies fein säuberlich und geduldig. Denn die Gäste kamen mitnichten jedes Jahr, ab und an lagen Pausen von mehreren Jahren zwischen ihren Aufenthalten. Doch die Karten verschwanden nicht, sondern wurden beim neuerlichen Aufenthalt einfach nachgetragen.

Concierge nur für den Gast

Auch wenn die Einträge zuweilen etwas despektierlich oder herablassend daherkommen, laut Rolf Zollinger stammen die nicht von irgendwelchen Hotelangestellten, sondern vom Chef de Réception in Absprache mit dem Concierge. Während der Beruf des Chef de Réception klar ist, ist der Concierge doch ein besonderes Jobmodell, wie Zollinger erklärt. Er hatte oft ein eigenes, kleines Büro mit Theke, ab und an war er auch an der Reception integriert. Vor allem aber hatte der Concierge im Hotel keine eigentliche Aufgabe, er war nur für den Gast da. Er erfüllte die Wünsche der Gäste, meldete ihn etwa beim Arzt an oder beim Coiffeur und bestellt den Tennis- oder Golfplatz. Der Concierge war die Auskunftsperson.

«Gibt altes Kleid zum Reinigen und verlangt dann, dass man ihr den Betrag von Fr. 175 vergütet, da Kleid beim Waschen eingegangen ist», «Drecksau, hat Lavabo als Abtritt benutzt – keine Ostergrüsse mehr». Da haben wir’s. «Keine Ostergrüsse» heisst der Titel dieses Buches, weil es quasi eine stehende Wendung wurde. Grundsätzlich erhielten alle Gäste vom Waldhaus zu Ostern eine Karte mit dem neuen Sommerprogramm. Allen ausser denjenigen, die man nicht mehr wollte. Ob sie dann allerdings dem Waldhaus tatsächlich ferngeblieben sind, bleibt offen.

Nicht immer waren die Kommentare schmeichelhaft.
Nicht immer waren die Kommentare schmeichelhaft.

Guter Austausch

Das Waldhaus konnte es sich leisten, die Gäste selbst auszusuchen. Denn diese standen praktisch Schlange, und das Hotel bezeichnete sich selbstbewusst als das Karlsbad der Alpen. Tatsächlich buchten denn auch viele angenehme und illustre Gäste ihren Aufenthalt in Vulpera. Friedrich Dürrenmatt, der Sänger Richard Tauber oder der Schauspieler Fritz Kortner weilten im Waldhaus. Kurt von Schleicher, der letzte Reichskanzler der Weimarer Republik ebenfalls.

Damals reisten die Gäste nicht nur für einige Tage, sondern für mehrere Wochen an. Dadurch entstand ein guter Austausch unter den Gästen. Es wurden Geschäfte abgewickelt, politisiert und wenn möglich auch der Nachwuchs standesgemäss verheiratet. Schliesslich reiste man mit der ganzen Familie an.

Und ja, es gab auch die Einträge zu den jüdischen Gästen, die nicht immer geziemend waren. Denn die jüdischen Gäste machten einen grossen Teil der Stammkundschaft aus. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder und bis zum Brand des Hotels. Doch wie schreibt Hechenblaikner? «Die Leserin oder der Leser mögen immer mitbedenken, dass die Bemerkungen auf den Karteikarten Zeugnis von politischen Rahmenbedingungen und Strömungen des Zeit- oder auch Unzeitgeistes geben.» Auch «Nazi-Grössen» gaben sich hier ein Stelldichein oder der nazifreundliche Schweizer Gesandte in Deutschland, Paul Frölicher. Die ganze Welt im Waldhaus destilliert.

Auch der grosse Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt logierte regelmässig im Waldhaus.
Auch der grosse Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt logierte regelmässig im Waldhaus.

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