Ich experimentiere, wenn ich mit den Produkten zufrieden bin

Jürg Wirth Olivia Schwarzenbach ist seit Oktober letzten Jahres die neue Käserin in Sent. Aufgewachsen ist sie im Unterland, hat aber schon immer die Ferien in Sent verbracht. Im Interview berichtet sie über den Wechsel in die Berge und ihr neues Leben.

Sie sind in Bülach aufgewachsen, was verschlägt Sie nach Sent?

Wir waren mit der Familie schon immer hier in den Ferien und mich faszinierten Sprache, Bergwelt, Leute, Kultur, einfach das Leben hier. Eigentlich habe ich schon immer gewusst, dass ich einmal hier leben will. Denn das Leben in den Bergen entspricht mir mehr als das im Unterland.

 

Sie haben erst die Matura gemacht und dann Käserin gelernt, weshalb?

Ich habe einen Beruf gesucht, den ich auch an einem Ort wie Sent ausüben kann und der Zukunft hat. Zudem wollte ich körperlich arbeiten. Das Kopflastige von vorher hat mich etwas «angegurkt». Ich wollte am Abend müde sein vom Arbeiten. 

 

Von wegen kopflastig: Sie überlegten, die Kantonsschule abzubrechen?

Ja, nach vier Jahren habe ich mir das ernsthaft überlegt, weil ich genug von der Schule hatte und wusste, dass ich nachher sowieso einen Beruf erlernen wollte.

 

Und wieso haben Sie dann doch weitergemacht?

Ich erfuhr von meinen Eltern grosse mentale Unterstützung und meine Schwester half mir etwas mit der Schule. Vor allem aber gelangte ich auch zur Erkenntnis, dass es schade wäre, nach vier Jahren einfach aufzuhören.

 

Auch weil Sie sich die Option Studium noch offenhalten wollten?

Eigentlich wollte ich die Matura nie machen, um nachher zu studieren. Aber wer weiss, wenn mir der Beruf der Milchtechnologin eines Tages nicht mehr gefällt, könnte ich trotzdem noch studieren, das ist eine gute Ausgangslage.

 

Standen denn auch noch andere Berufe zur Diskussion?

Bäuerin habe ich mir mal überlegt, allerdings sah ich das als eher schwierig an. Damals fehlte mir die Aussicht auf einen Hof.

 

Was fasziniert Sie am Beruf der Milchtechnologin?

Das Faszinierendste finde ich, dass ich aus der bereits schon wertvollen Milch ein neues Produkt herstellen kann, das haltbar ist und die Milch noch veredelt.

Faszinierend ist auch, wie viele verschiedene Produkte sich aus der Milch herstellen lassen. Ich geniesse es, die Umwandlung der Milch miterleben zu können; die Milch dabei sehen und riechen zu können.

 

Stand während der Ausbildung eher die Produktion im Vordergrund oder Hygiene und Lebensmitteltechnologie?

Im Lehrbetrieb, der Käserei Girenbad, hatten wir eine sehr gute Mischung, denn beides ist wichtig. Das eine geht nicht ohne das andere. Wohl legten wir grossen Wert auf die Hygiene, aber das Produkt stand trotzdem an erster Stelle. In der Schule hingegen lag der Schwerpunkt eher auf der Hygiene. 

 

Verlief denn die Lehre so, wie Sie sich das vorgestellt hatten?

Ja sehr. Auch weil ich die Lehre in einer kleinen Käserei gemacht habe. Erst habe ich in einem grossen, industriellen Betrieb geschnuppert, aber das wäre gar nichts für mich gewesen. Im Girenbad aber war’s perfekt.

 

Was sind jetzt Ihre Aufgaben und Anforderungen in Sent?

Angestellt bin ich für die Produktion von Käse, Joghurt und Quark. Quark macht aber auch die andere Mitarbeiterin in der Käserei, die eher für den Laden zuständig ist. Die Produkte ausliefern steht auch noch in meinem Pflichtenheft.

 

Dürfen Sie schon experimentieren und neue Käse «erfinden» oder gibt es da ein Produktionsprogramm?

Mein Chef, Fadri Stricker, Präsident der Käsereigenossenschaft, hat gesagt, ich dürfe alles machen, solange es der Käserei nicht schade. Heisst also, ich dürfte auch experimentieren. Das mache ich sicher noch, aber erst, wenn ich mit den gegenwärtigen Produkten 100-prozentig zufrieden bin. 

Die bestehenden Produkte, das sind Sentiner und Senter, zwei Halbhartkäse, zwei verschiedene Mutschli und zwei Weichkäse.

 

Muss man als Käserin eine «Erbsenzählerin» sein?

Ja, ich denke, das ist besser und mir sagt man auch nach, eine zu sein. Trotz der «Erbsenzählerei» muss man aber auch auf die Produkte eingehen können. Wenn dann etwas nicht gut läuft, muss man rasch und genau handeln können. Und bei der Hygiene braucht es eine klare Linie.

 

Welche und wie viel Milch verarbeiten Sie?

Im Sommer verarbeite ich die gesamte Milch von der Alp Telf. Diese kommt per Pipeline zu uns in die Lataria. Im Winter verarbeite ich die Milch von zwei Betrieben, die kein Silo füttern. Pro Mal verkäse ich 500 Liter Milch. Im Jahr ergibt das 80'000 bis 90'000 Kilogramm Milch, die ich verarbeite.

 

Weshalb braucht es silofreie Milch?

Im Silofutter kann es Buttersäurebakterien und -sporen haben, die in die Milch gelangen und dann den Käse blähen. Solche Käse kann man nicht mehr essen. Die LESA (Lateria Engiadinaisa) in Bever kann aber auch Silomilch verkäsen, weil sie die entsprechenden Anlagen hat.

 

Sie sind seit gut einem Jahr in Sent, wie ist das Leben im Dorf?

Ich finde es super, weil ich es gerne familiär habe, wenn man die Leute kennt und mit ihnen einen kleinen Schwatz halten kann, wenn man sie auf der Strasse trifft.

Allerdings kann man nichts im Geheimen machen, weil alle alles wissen. Aber das stört mich nicht, weil ich keine Geheimnisse habe. Für mich ist es hier perfekt.

 

Wie gross ist der Unterschied zu den Ferienaufenthalten?

Als wir hier in den Ferien waren, hatten wir Ferien und Zeit zum Skifahren, Wandern oder auch Heuen. Jetzt bin ich am Arbeiten, weshalb mir die Zeit für andere Dinge oft etwas fehlt. Allerdings fühlt sich das Hier-Wohnen verglichen mit den Ferien fast noch besser an.

 

Wie läuft es mit der Integration?

Sehr gut. Ich erlebe die Leute als sehr offen und freundlich. Gut, die einen habe ich auch schon etwas gekannt von den Ferien. Aber auch die Leute, die ich neu kennenlerne, sind offen und freundlich. Ich spiele auch in der Dorfmusik mit. Ich spiele Klarinette.

 

Und wie läuft es mit den Einheimischen?

Ausgezeichnet, ich habe hier meinen Freund gefunden. Dadurch gehöre ich noch schneller dazu, denn so war ich nie die Fremde oder gar die Zürcherin. Er stellt mich vor als «Olivia, meine Freundin, die Käserin in Sent».

Zudem bin ich fleissig am Romanisch lernen. Seit neuestem rede ich auch mit meinem Freund nur noch Romanisch, ausser wenn das Thema etwas kompliziert wird, dann wechsle ich auf Deutsch. Im Laden mit den Kund*innen versuche ich es ebenfalls auf Romanisch. 

Erstaunlicherweise hat das mit dem Romanischlernen besser geklappt als mit jeder anderen Sprache, die ich bisher gelernt habe. 

 

 

Zur Person

Olivia Schwarzenbach ist in Bülach und Winkel aufgewachsen. Schon von klein auf war sie immer in Sent in den Ferien. Nach erfolgreich absolvierter Matur hat sie die Lehre zur Milchtechnologin absolviert und ist nun seit Oktober 2022 die Käserin in der Lataria Sent.

Olivia Schwarzenbach ist seit rund einem Jahr die neue Käserin in Sent.
Olivia Schwarzenbach ist seit rund einem Jahr die neue Käserin in Sent. © zvg

Das könnte Sie auch interessieren