Die alten Talwege wiederentdecken

Jürg Wirth Tumasch Planta aus Scuol hat die Arbeit seines Vaters weitergeführt und zur Publikation gebracht. Herausgekommen ist das Buch «Alte Talwege im Unterengadin». Eine spannende Lektüre und Geschichtslektion für alle, die gerne auf Entdeckungsreise gehen.

Grundsätzlich schlummert in fast allen von uns das Entdecker- und Forschergen. Oder wer will nicht beispielsweise in den Ferien den einsamsten Strand, das authentischste Restaurant oder den malerischsten Ort finden? Andere spazieren stundenlang über Äcker, nur um versteinerte Schnecken zu finden oder Muscheln, manche gar machen sich auf die Suche nach Gold.

Auch in Tumasch Planta lebt das Entdeckergen, ganz stark sogar, ihm wurde es gewissermassen in die Wiege gelegt. Denn bereits sein Vater, Armon Planta, war als Entdecker und Forscher unterwegs, und der Sohn hat nun die Arbeit des Vaters zu Ende gebracht und damit den grossen Wunsch des Vaters erfüllt. «Alte Talwege im Unterengadin» heisst das Werk, und um was es geht, dürfte aufgrund des Titels klar sein. Die Basis für die Publikation waren die Unterlagen von Armon Planta, welche dieser im Rahmen seiner eigenen Forschungs- und Entdeckertätigkeit erstellt hat. Hier gilt es noch einzuschieben, dass sowohl Armon als auch Tumasch Entdecker-Laien sind, wenn auch auf sehr hohem Niveau. Im «GEH-leit» zu «Alte Talwege im Unterengadin» schreibt Tumasch Planta, dass die Unterlagen seines Vaters wohl Gold wert waren, aber auch, dass sie bei weitem nicht vollständig gewesen sind. Ein solides Gerüst hätten sie gebildet, das ihm nicht nur den Weg ebnete, sondern auch sehr viel historisches Wissen und vor allem sehr wertvolles Fotomaterial lieferte. Kartierungen hingegen fehlten vollständig, dafür hatte der Vater den Wegverlauf anhand der Landeskarte im Massstab 1:25'000 beschrieben. Tumasch hatte also ein grosses Rätsel zu lösen, wusste aber auch von Anfang an, dass eine Publikation nur mit Kartierungen Sinn macht, ansonsten sie der Leserschaft nicht zumutbar wäre. Also machte Tumasch Planta das, was im tiefsten Sinne eines Weges liegt: Er begann mit dem Erkunden, Kartieren und Begehen. Er begab sich also auf die Reise zu den alten Talwegen im Unterengadin. 

Über die beiden Steine in der Clozza führte der Übergang des alten Talweges zwischen Guarda und Lavin.
Über die beiden Steine in der Clozza führte der Übergang des alten Talweges zwischen Guarda und Lavin. © Jürg Wirth

Verschiedene Varianten

Diese beginnt auf dem Talweg zwischen Ramosch und Scuol, wo Planta Talwegrelikte sammelte. Nicht immer habe sich die Wegführung zweifelsfrei rekonstruieren lassen, gibt Planta an. Also bezog er auch historisch wichtige Plätze und Orte in seine Forschung ein. Dies mit dem Ansatz, dass diese miteinander kommunizieren mussten. Ausgangspunkt oder eine einfach zu findende Stelle des Talweges zwischen Ramosch und Scuol ist der Übergang über die Brancla bei Ramosch. Seit urgeschichtlicher Zeit sei dieser an der gleichen Stelle erfolgt, hat Planta ermittelt. Dies am talseitigen Ende der Brancla-Schlucht, weil dort die schmalste Stelle des Schuttfächers des Baches war. Blickt man vom Beginn der heutigen Brücke in Richtung Ramosch, so erkennt man rechts unterhalb der Brücke den alten Brückenpfeiler. Bis Crusch verlief der alteTalweg unterhalb der jetzigen Hauptstrasse, um dann beim Weiler leicht ansteigend auf die obere Strassenseite zu wechseln. Da, wo die heutige Strasse jetzt leicht in die Schlucht hineinführt, kurz vor der Örtlichkeit Soblantin – wahrscheinlich weil die frühere Siedlung dort San Valentin hiess – führte der alte Weg unterhalb der jetzigen Strasse weiter. Der grosse Platz, auf dem heute Holz gelagert wird, war früher der Galgenhügel, weshalb die Flure dort «La Fuorcha», der Galgen, heisst. Ist hier immer nur von einem Weg die Rede, so ist das nicht ganz korrekt, denn die Plantas konnten verschiedene Wege respektive Wegstücke aus verschiedenen Zeiten bestimmen. Diese erstrecken sich von prähistorisch-römisch über römisch-frühmittelalterlich bis hin zu hochmittelalterlich; von spätmittelalterlich bis zu neuzeitlich und schliesslich noch bis ins Jahr 1864, was in etwa dem Verlauf der heutigen Strasse entspricht. In Scuol mündeten die Wege dann dort ein, wo heute die Strasse nach Pradella verläuft. Im heutigen Plaz in Scuol Sot verzweigten sich die Talwege. Einer führte in Richtung Tarasp – Zernez beziehungsweise S-charl, der andere nach Ftan – Guarda – Lavin.

Diese beiden Wege sind es denn auch, die Planta im Buch weiter beschreibt und vor allem begangen hat.

Rechts unterhalb der Brücke über die Brancla bei Ramosch sieht man das alte Brückenfundament.
Rechts unterhalb der Brücke über die Brancla bei Ramosch sieht man das alte Brückenfundament. © Jürg Wirth

Spuren suchen und lesen

Auch da hat er akribisch alle möglichen Wegvariationen aufgeführt. Hat sie von prähistorisch-frühmittelalterlich bis zur heutigen Strasse sortiert. Vermutet beispielsweise, dass über die Clozza zwischen Guarda und Lavin keine Brücke führte, sondern nur ein einfacher Übergang. Hat immer wieder Fundamente und Stützmauern gefunden. Hat auf dem Alle-Zeiten-Talweg, heute der Wanderweg oberhalb der Verbindungsstrasse Ftan – Ardez, eine Inschrift mit der Jahreszahl 1757 und den Buchstaben W und P entdeckt. Sieht auf dem gleichen Weg ein wenig weiter ganz klar die vorrömische bis mittelalterliche und die mittelalterliche Querung, den noch 1573 von Campell beschriebenen und den neuzeitlichen Talweg.

Und auch darum geht es vor allem in diesem Buch oder mit diesem Buch, ums Sehen. Tumasch Planta leistet dazu dank zahlreicher Fotos, Karten, Kartierungen und Skizzen grossartige Hilfestellung. Gerade so, dass man das Buch unter den Arm oder in den Rucksack packen will, um die alten Talwege abzuschreiten und sie vor allem nochmals selber zu entdecken.

«Alte Talwege im Unterengadin», Armon Planta, Tumasch Planta aus der Reihe Archäologie Graubünden.

Auf dem Platz an der Strasse, wo jetzt Holz gelagert wird, stand früher der Galgen, deshalb der Name Fuorcha.
Auf dem Platz an der Strasse, wo jetzt Holz gelagert wird, stand früher der Galgen, deshalb der Name Fuorcha. © Jürg Wirth
Oben im Gebüsch gut zu erkennen: Die «pedra fitta», der schmückende Stein des einstigen Talweges, gerade unterhalb von Sent, kurz vor Crusch gelegen.
Oben im Gebüsch gut zu erkennen: Die «pedra fitta», der schmückende Stein des einstigen Talweges, gerade unterhalb von Sent, kurz vor Crusch gelegen. © Jürg Wirth
Pedra fitta etwas detaillierter.
Pedra fitta etwas detaillierter. © Jürg Wirth

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