© Jürg Wirth

Eine kühle Liebe

Jürg Wirth Eis kann ganz fest sein und am nächsten Tag schon geschmolzen – birgt also viele Veränderungen und Überraschungen. Genauso wie unsere gegenwärtige Zeit. Wieso also nicht dem gefrorenen Wasser mal etwas mehr Aufmerksamkeit widmen.

Eis ist der dritte Aggregatszustand von Wasser. Die anderen sind Dampf und eben einfach Wasser. Zur Bildung von Eis braucht es Temperaturen unter Null und einen Kristallisationskeim. Bei minus 30 Grad Celsius ist Eis so hart wie Kalkstein, bei Temperaturen über Null schmilzt es. Eis passt deshalb gut in die aktuelle Zeit der Ungewissheit und der stetigen Veränderung. Was heute noch gilt, ist morgen bereits vorbei oder eben geschmolzen wie Eis an der Sonne oder im Drink. 

A propos Drink respektive Kühlung. Diese war früher eine der Hauptaufgaben von Eis. Naturgemäss nicht im Winter, weil es dann sowieso kalt war, sondern im Sommer. Und das Hauptproblem bestand darin, das Eis vom Winter in den Sommer hinüberzuretten. Besonders gut gelang dies im Jura. Oberhalb von Couvet in der Hochebene von La Brévine liegt die Glacière de Monlési, eine eindrückliche Grotte, in der die Temperaturen im Winter bis auf minus 40 Grad fallen können und wo auch im Sommer immer ein kühler Wind weht. Aus diesem konzentrierten Gletscher bauten die Jurassier jahrelang Eis ab und verkauften es bis nach Paris.

Zur Bildung von Eis braucht es Temperaturen unter Null und einen Kristallisationskeim.
Zur Bildung von Eis braucht es Temperaturen unter Null und einen Kristallisationskeim. © Niculin Meyer

Eis aus dem Lai Tarasp

Doch auch in unserer Gegend wurde Eis abgebaut, gelagert und zur Kühlung im Sommer verwendet. Produktionsquelle war der Lai da Tarasp. Tatsächlich wurde dieser auch nur dazu angelegt. Entweder, um Häuser bei einem Brand zu löschen oder eben für die Eisproduktion. Dazu wurden Blöcke aus dem Lai da Tarasp geschnitten und wegtransportiert. Allerdings nicht sehr weit, denn damals standen in unmittelbarer Umgebung die bedeutenden Kurhäuser wie Waldhaus oder Scuol Palace. So brauchten die Eisblöcke keine grossen Distanzen auf sich zu nehmen. Dort lagerten sie dann in extra angefertigten Kellern, genauso wie auch im Schloss Tarasp und kühlten die verderbliche Ware den Sommer über, um sie haltbar zu machen. 

Unlängst erinnerte sich der Künstler Daniel Cotti aus Ramosch wieder an dieses alte Handwerk und liess es aufleben. Zusammen mit Helfern schnitt er mit der Motorsäge Blöcke aus dem Eis des Lai Tarasp, insgesamt 40 Tonnen. Daraus erbaute man einen Eispalast, der die Eiskönigin vor Neid hätte erblassen lassen. 

Dieses Eis aus dem Lai Nair ist noch nicht abgebaut.
Dieses Eis aus dem Lai Nair ist noch nicht abgebaut. © Dominik Täuber

Kleine Blöcke oder Eislichter

Jetzt haben aber nicht alle einen See vor der Haustüre, aus dem sie Blöcke schneiden könnten. Die Brunnen gefrieren nicht, und die Eisgewinnung aus Bächen und Flüssen ist zu gefährlich. Doch es gibt eine Lösung, die «Heimwerker-Variante» quasi. Dabei füllt man Plastikkisten mit Wasser, wartet, bis alles gefroren ist, löst den Block vorsichtig aus der Box, und fertig ist der erste Eis-Baustein. Wendet man dieses Verfahren für ein, zwei, viele Blöcke an, lässt sich daraus die perfekte Eisbar hochziehen oder gar ein kleines Iglu oder anderes Häuschen bauen. Der Fantasie sind jedenfalls keine Grenzen gesetzt.

Wer lieber Licht ins Dunkel bringen will, anstatt Klötze zu stapeln, ist mit Wasser im dritten Aggregatszustand ebenfalls gut bedient. Eislicht heisst das Stichwort hierzu. Das sind diese äusserst dekorativen Windlichter, die im Engadin zur Winterszeit viele Türen und Häuser zieren. Die Kerze scheint dabei im Eisblock eingefroren zu brennen. 

Anstatt das Wasser in eine Kiste zu füllen, nimmt man einen Eimer oder auch eine Gugelhopfform. Der Trick ist nun der, das Wasser nicht ganz durchfrieren zu lassen, was allerdings nicht so einfach zu bewerkstelligen ist, weil schwierig zu erkennen. Also wiederum den Eiszylinder aus der Form lösen und dann ganz sanft den Deckel einschlagen, das Wasser ablassen, die Kerze reinstellen, anzünden und fertig ist das Windlicht aus Eis.

Ein Gugelhopf aus Eis.
Ein Gugelhopf aus Eis. © Jürg Wirth

Natürliche Formen

Doch eigentlich ist immer schöner als handgemachtes Eis dasjenige, das in der Natur vorkommt. Angefangen beim gefrorenen See, möglichst schwarz. Falls dies nicht der Fall ist, lässt er sich zur Not auch schwarz räumen. Das Erlebnis danach, oder auf dem rein schwarz gefrorenen See, ist eines der dritten Art. Zieht man seine Linien übers Eis, begleitet einen ständig ein leichtes Knacken und Surren - das Eis lebt. Ein Blick auf die anderen Eiskunstläuferinnen und -läufer beruhigt dann etwas. Die sind schliesslich auch noch nicht eingebrochen. Es kann weitergehen mit dem Kurvenziehen.

Wer lieber gar kein Risiko eingehen will, spaziert am besten einem Bach oder Fluss entlang, denn da sind Ah- und Oh-Erlebnisse garantiert. Die Natur entwirft Formen, da würde unsereiner nie draufkommen. Kleine Zäpfchen, längere Stangen oder auch organisch runde Eisskulpturen. Nicht zu vergessen die Eiszapfen. Kinder brechen sie gerne ab, um sie zu lutschen wie Glacé. Ausnahmsweise könnten in diesen Zeiten auch mal Erwachsene wieder auf Kind machen. Vielleicht nicht unbedingt den Zapfen lutschen, ihn dafür als Laserschwert benutzen und damit allem Ungemach den Garaus machen. 

Eisklettern in der Clemgia Schlucht.
Eisklettern in der Clemgia Schlucht. © Dominik Täuber

Eissport

Und ja genau, Eis ist auch ein Sportgerät respektive die Unterlage dazu. Eisklettern zum Beispiel ist etwas für Menschen, die sich nicht vor pulsierenden Unterarmen und steilen Kraxeleien fürchten. Weil's keineswegs ungefährlich ist, denn, wie bereits erwähnt, Eis kann relativ rasch wieder in den anderen Aggregatszustand übertreten, sollte man diesen Sport den Experten überlassen oder zumindest einen dabei haben. 

Curling und Eisstockschiessen sind da viel weniger gefährlich. Beide sind Teamsportarten, bei beiden geht es grob gesagt darum, die Stöcke oder Steine möglichst nahe an ein Ziel zu bringen. Doch gerade weil beide Teamsporten sind, steht in der Schwebe, ob und wie diese durchgeführt werden können.

Gleiches gilt fürs Hockey, dort ist wenigstens klar, dass Kinder dieses Spiel ohne grosse Einschränkungen geniessen dürfen. Und geniessen sollte man auch den Eisweg in Sur En dürfen, wenn man das denn kann. Der drei Kilometer lange Rundkurs führt durch den märchenhaften Winterwald und bietet leichte Steigungen genauso wie die eine oder andere sanfte Abfahrt. Ein Spass für die ganze Familie, vorausgesetzt, alle fühlen sich auf den schmalen Kufen wohl und sicher.

Aber ganz sicher die angenehmste und ungefährlichste Variante – bei zurückhaltendem Konsum – sich mit Eis auseinanderzusetzen, sind die Würfel in den Drinks. Ihnen beim Schmelzen zuzuschauen, ist hochgradig meditativ und kann für kurze Zeit in einen anderen Bewusstseinszustand führen.

Curlingsteine
Curlingsteine © zvg

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