In der Schweiz ist man sicher

Jürg Wirth Ehsan Hossaini ist 2015 aus Afghanistan geflüchtet. Seit 2018 arbeitet er nun im Hotel Piz Linard in Lavin. Im Interview spricht er über sein Heimatland, seine Flucht und über seine Zukunftspläne.

Können Sie Afghanistan in drei Sätzen beschreiben?

In Afghanistan hat es auch viele Berge, darunter hohe, allerdings sind die Berge kaum bewaldet, es gibt da nur Steine und Erde. Afghanistan ist ein grosses Land mit rund 35 Millionen Einwohnern, die Hälfte davon sind Schiiten, die andere Hälfte Sunniten, dafür gibt es viele regionale Sprachen, die Hauptsprachen sind Dari und Peschta. Dari ist meine Muttersprache. Auf dem Land leben die meisten Leute von der Landwirtschaft, viele haben kleine Bauernbetriebe mit einigen Kühen, Ziegen oder Schafen und Eseln. Afghanistan ist ein sehr schönes Land und hat auch vier Jahreszeiten. Der Winter dauert rund drei Monate, und es liegt auch viel Schnee.

Wo haben Sie gewohnt, und wie war das Leben dort?

Ich habe mit meinen Eltern und Geschwistern auf dem Land gewohnt, in einem Dorf mit etwa 500 Einwohnern, rund 150 Kilometer von Kabul entfernt.

Gab es da schon Taliban?

Ja, die waren damals schon da. Die meisten hielten sich in den Bergen oder im Wald auf, aber auch im Dorf hat es immer gehabt. Das Problem war, dass die Taliban Paschtunen sind und ich Schiit. Sie haben den Mädchen verboten, in die Schule zu gehen, das finde ich schlecht.

Sie sind dann geflüchtet, wie war die Flucht?

Zuerst flüchtete ich von Afghanistan über Pakistan in den Iran, zu Fuss oder mit dem Auto. Wir waren einige Leute zusammen, oft hielten wir uns in den Bergen auf, damit uns niemand findet. Etwa eine Woche bin ich im Iran geblieben und dann weitergezogen bis in die Türkei. Von da setzten wir mit einem Schlauchboot, in dem 45 Leute waren, nach Lesbos über, das war 2015. Von Lesbos brachten sie uns nach Athen, und von dort gings weiter nach Nordmazedonien, schliesslich Serbien, Österreich bis nach Deutschland. Bis nach Griechenland war ich quasi schwarz unterwegs, ab dort offiziell. Von Österreich fuhr ich dann mit dem Zug in die Schweiz, wo ich an der Grenze festgenommen wurde. Sie brachten mich nach Buchs im Rheintal und drei Tage später nach St. Gallen. Dort blieb ich 15 Tage im Asylheim und anschliessend ein Jahr in Chur im Asylheim. Von dort gings weiter nach Valchava, anschliessend nach Splügen. Dort hat es mir sehr gut gefallen. In Splügen war ich bis 2018 dann suchte ich Arbeit in Arosa, Flims und anderen Orten.

Durften Sie denn schon arbeiten?

Ja, dann schon. Zu Beginn hatte ich den Status N, dann musste ich zum Interview nach Bern, worauf ich die F-Bewilligung erhielt, mittlerweile habe ich den B-Ausweis.

Und wie sind Sie nach Lavin gekommen?

Ich habe einen Gastrokurs besucht vom Gastronomieprojekt in Graubünden. Dort habe ich Hans Schmid getroffen. Er engagierte mich und ich konnte mit nach Lavin.

Anfangs habe ich im Hotel Piz Linard als Allrounder gearbeitet, mittlerweile darf ich auch kochen. Ich habe alles hier gelernt und die Arbeit in der Küche gefällt mir.

Und wie lange möchten Sie hier bleiben?

Ende November verlasse ich das Piz Linard und Lavin, weil ich in Richtung Landquart ziehen möchte, um dort eine Arbeit zu suchen, bei der ich auch etwas Freizeit habe und Zeit für Sport. Zudem möchte ich Englisch lernen.

Deutsch sprechen Sie ja schon sehr gut.

Das lerne ich jeden Montag in Cazis in der Schule St. Catarina.

Möchten Sie denn in der Schweiz bleiben?

Ja, unbedingt. Am liebsten möchte ich mich hier niederlassen und mal eine Familie gründen.

Was sind die grössten Unterschiede zwischen Afghanistan und der Schweiz?

Die Sicherheit. In der Schweiz ist man immer sicher, Tag und Nacht, in Afghanistan nicht. Am Tag geht es noch einigermassen, aber in der Nacht ist es gefährlich, da hatte ich immer Angst.

Hier muss man oder darf man zur Schule, in Afghanistan ist die Schule zwar gratis, aber eher freiwillig. Deshalb schicken nicht alle Eltern ihre Kinder zur Schule, weil sie die Kinder zum Arbeiten und Geld verdienen brauchen.

Sie können jetzt auch Auto fahren, ist das anders als in Afghanistan?

Ich selber bin nie gefahren in Afghanistan, aber zugeschaut habe ich schon. Dort gibt es eigentlich keine Regeln. Überall herrscht freie Fahrt, das ist dann extrem gefährlich.

Vorhin haben Sie ihren Bruder erwähnt, ist der noch in Afghanistan?

Ja, er ist in Kabul. Weil er beim Kommando der Special Force im Militär war, muss er sich jetzt vor den Taliban verstecken. Er lebt in grosser Angst und hat auch versucht zu fliehen, er war zwei Tage am Flughafen, kam aber auf kein Flugzeug.

Und wie geht es den Eltern?

Bei denen geht es so, sie wohnen wieder auf dem Land auf dem Bauernhof.

Wie sehen Sie ihre Zukunft?

Gerne möchte ich mal eine Familie gründen, zuerst aber eine Lehre machen, am liebsten als Elektriker.

Ehsan Hossaini fühlt sich wohl in Lavin.
Ehsan Hossaini fühlt sich wohl in Lavin. © Jürg Wirth
Zur Person

Ehsan Hossaini lebt seit rund sechs Jahren in Europa. Seit 2018 arbeitet er im Hotel Piz Linard, wo er als Allrounder begonnen hat und mittlerweile auch kocht.

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