Ich fahre anders über die Strassen

Jürg Wirth Sommer ist Hochsaison für die Belagsarbeiten, sprich Asphaltierung der Strassen. Gian Paul Arquint ist Regionalleiter bei HEW, einem Belagsunternehmen und erzählt, worauf es beim Teeren ankommt und warum man eigentlich nicht mehr «Teeren» sagen sollte.

Welche ist «teermässig» Ihre Lieblingsstrasse?

Ganz klar die H27, besser bekannt als Engadinerstrasse.

Und weshalb?

Weil wir auf dieser Strasse die meisten Arbeiten ausgeführt haben.

Wie ist das Gefühl, wenn Sie über eine von Ihnen oder Ihrer Firma asphaltierte Strasse fahren?

Ich fahre darüber und dabei kommt mir vieles in den Sinn, zu den gemachten Arbeiten oder auch zu speziellen Erlebnissen dabei. Selbstverständlich achte ich auch auf Details wie Unebenheiten, Abschlüsse, Bankett, etc. Manchmal bin ich so konzentriert auf diese Dinge, dass ich vergesse, auf die Strassensignalisation zu schauen ;-)

Ist die Arbeit gelungen, fahre ich voller Stolz über die Strasse. Sind die Abschnitte aber nicht so herausgekommen, wie ich es gerne gehabt hätte, ärgere ich mich jedes Mal wieder.

Und wie beim Fahren über eine Strasse von Mitbewerbern?

Als Belagsunternehmer spüre ich beim Fahren natürlich auch, ob die Konkurrenz eine gute oder weniger gute Arbeit ausgeführt hat. Allerdings fallen die misslungenen Details eher auf.

Fährt man überhaupt anders über Strassen, wenn man selber solche Beläge macht?

Grundsätzlich fährt man als Belagsunternehmer sicher anders über die Strassen als ein normaler Strassenbenützer. Interessierter, mit offenen Augen und ausgefahrenen Antennen, dies nicht nur über die Strassen in der Region, sondern auch über solche in anderen Gegenden, denn man kann immer wieder etwas lernen.

Wozu braucht es überhaupt Teer, und wann wurde dieser Strassenbelag erfunden?

Der Teerbelag für Strassen ist eine Erfindung des Schweizers Ernest Gugielminetti. Er sah im «Teeren» eine Möglichkeit, den Staub auf den Naturstrassen zu binden und so die Strassen einfacher und schneller befahrbar zu machen. In Monaco liess er am 13. März 1902 erstmals ein fast 40 Meter langes Strassenstück mit heissem Teer bestreichen.

Woraus besteht Teer?

Teer wird durch Pyrolyse von Kohle (Kohlenstoff) oder anderem organischen Material gewonnen. Bis in die 1970er-Jahre diente Teer als Bindemittel bei der Asphalt-Herstellung. Wegen seiner krebserregenden Wirkung (PAK) wurde Teer dann weitgehend durch Bitumen ersetzt. In der Alltagssprache wird «teeren» aber immer noch als Synonym für «asphaltieren» verwendet.

Bitumen wird aus Erdöl gewonnen (Destillationsrückstände aus Erdöl). Bitumen enthält keine flüchtigen Anteile und gibt daher keine giftigen Dämpfe ab.

Und wo beziehen Sie den Asphalt hier?

Wir im Unterengadin beziehen den Asphalt vom Werk in Zams, das klingt im ersten Moment etwas komisch, ist aber durchaus erklärbar, allerdings muss ich dazu etwas ausholen. Erst betrieb die Firma Catram, an der alle Belagsfirmen beteiligt waren, in Zernez und in Samedan je ein Werk. Weil aber beide nicht ausgelastet waren, wurde das Werk in Zernez geschlossen. Nun ist Samedan zu 100 Prozent ausgelastet und liefert Asphalt bis nach S-Chanf/La Punt. Den Rest beliefert das Werk in Zams. Dort ist der Vorteil, dass sie die Zuschlagsstoffe grad vor Ort haben, während diejenigen für Samedan vom Steinbruch in Zernez kommen und also auch dort abgeholt werden müssen.

Wie sahen die Strassen vorher aus?

Die Entstehung der Strasse (Pflasterstrasse) begann mit der Erfindung des Rades. Zuerst wurden Wege angelegt, später dann Strassen.

Als älteste erhaltene, befestigte Pflasterstrasse gilt die Steinbruchstrasse am Quarunsee in Ägypten, die auf ca. 2600 bis 2100 vor Christus datiert wurde.

Der systematische Bau von Strassen geht auf das römische Reich zurück. Hier wurde aus militärischen Gründen im fünften Jahrhundert vor Christus ein europaweites Strassennetz aufgebaut. Der Aufbau sah folgendermassen aus: Begrenzungssteine, Sand, Schotter, Erde und Steine, Kies, Steinplatten. Die derart aufgebauten Strassen bestehen zum Teil bis heute, so beispielsweise am Septimerpass.

Asphalt wird nicht nur auf Strassen eingesetzt, sondern auch grosszügig auf Plätzen, Stichwort Hitze?

Technisch gesprochen ist Asphalt eine Mischung aus Schottersteinen und extrem dickflüssigem Bitumen, das sich bei normalen Aussentemperaturen verhält wie ein ausgehärteter Klebstoff. Wird der Asphalt durch die Sonne und die mechanischen Belastungen durch den Verkehr sowie durch die von den Fahrzeugen abgegebene Hitze auf 60 bis 70 Grad oder noch höher erwärmt, wird das Bitumen und damit der Asphalt weich und verformbar. In der Folge entstehen beispielsweise tiefe Spurrillen, Löcher im Asphalt und an Stellen, an denen viel gebremst wird, waschbrettartige Buckelpisten. Daher wird heutzutage viel mit hellen Belägen experimentiert, um die Sonneneinstrahlung zu vermindern.

Welches sind hier die grössten Herausforderungen beim teeren?

Eindeutig das Wetter. Wenn es zu kalt ist, kann man nicht teeren und wenn es beispielsweise zu stark regnet, auch nicht.

Eine grosse Herausforderung beim Teeren ist auch die ganze Logistik. Man muss die Lastwagen, welche den Asphalt liefern, auf die Minute genau bestellen, nur so lässt sich ein reibungsloser Ablauf der Arbeiten gewährleisten.

Nicht zu unterschätzen ist auch das Team sowie dessen Zusammensetzung. Es ist wichtig, dass die Leute Erfahrung haben und gut eingespielt sind, dazu wiederum ist es von Vorteil, wenn beispielsweise in einem Viererteam jeweils zwei aus demselben Land kommen.

Allerdings wird es immer schwieriger, gute Leute zu finden.

Wie sieht es aus mit den Temperaturen, mittlerweile sieht man, dass auch noch im Herbst oder Frühling geteert wird.

Dank Thermosilos ist es heutzutage kein Problem, auch bei kalten Temperaturen den Belag einzubauen. Mehr Sorgen bereitet einem da das Personal und die Maschinen, welche beide unter zu tiefen Temperaturen leiden. Da die Maschinen mit Diesel betrieben werden, kann es auch mal vorkommen, dass der Treibstoff bei der einen oder anderen Maschine einfriert.

Zudem sollte die Oberflächentemperatur beim Einbau von Tragschichten über 60 Millimeter Dicke 5 Grad nicht unterschreiten.

Bei kalten Temperaturen ist wichtig, dass die Fundationsschicht richtig eingebaut wird, also nicht bei Frosttemperaturen.

Flüsterbelag dürfte im Engadin eher kein so grosses Thema sein. Wie müssen die Beläge hier sein?

Flüsterbeläge unterscheiden sich durch zwei Faktoren von konventionellen Strassenbelägen: Sie sind feiner und haben einen höheren Hohlraumgehalt. Kleinere Porendurchmesser sorgen dafür, dass die lärmreduzierende Hohlraumstruktur nicht durch Schmutz verstopft wird. Allerdings wird der Flüsterbelag im Engadin tatsächlich noch nicht angewendet.

Wie viel Quadratmeter oder Kilometer Strassen teert die HEW jährlich im Engadin?

Schätzungsweise ca. 5'000 bis 7'000 Tonnen pro Saison, dies entspricht etwa 20'000 bis 30'000 Quadratmetern.

Wie teilt sich das auf in neue Beläge und Ersatz?

Das sind zu etwa 80 Prozent Ersatzbeläge und nur rund 20 Prozent neue Beläge für Strassen und Plätze.

Und gibt es in Zukunft noch genügend zu teeren?

Das denke ich schon. Es kommt allerdings auch etwas darauf an, wie viel Geld dafür zur Verfügung steht. Und irgendwann wird wohl auch noch der Flüsterbelag im Engadin zum Thema werden.

Gian Paul Arquint ist Regionalleiter Engadin des Belagsunternehmen HEW. Nach der Tiefbauzeichnerlehre hängte er noch eine Zusatzlehre als Maurer an und absolvierte die Bauführerschule in Aarau.

Gian Paul Arquint ist Spezialist in Sachen Asphalt.
Gian Paul Arquint ist Spezialist in Sachen Asphalt. © zvg

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