Gletscher-Hahnenfuss. (Foto: Hans Lozza, SNP)
Gletscher-Hahnenfuss. (Foto: Hans Lozza, SNP)

Gipfelstürmer und Schlafmützen

Stefan Triebs Ab dem 21. März zeigt der Schweizerische Nationalpark in seinem Besucherzentrum in Zernez die Sonderausstellung «Gipfelstürmer und Schlafmützen – Tiere und Pflanzen im Gebirge». Im Fokus stehen die ausgeklügelten Überlebensstrategien von mehr als 30 Lebewesen.

Die Bedingungen im Gebirge oberhalb der Waldgrenze werden oft als extrem und lebensfeindlich bezeichnet. In der Tat unterscheiden sie sich deutlich von jenen in tieferen Lagen: Die Winter sind lang, die Sommer kurz, Wetterwechsel häufig und unberechenbar. Dennoch besiedeln Tausende Lebewesen diese Höhenlagen. Welche Arten kommen hier vor? Welche Anpassungen erlauben ihnen hier eine Existenz?
Antworten auf diese und weitere Fragen gibt die Sonderausstellung «Gipfelstürmer und Schlafmützen – Tiere und Pflanzen im Gebirge» des Bündner Naturmuseums.

Lebensfeindliches Gebirge?

Im Frühjahr lassen sich in den Bergen starke Kontraste erleben. Unten im Tal blühen Blumen, Sträucher und Bäume, während in den Hochlagen noch meterhoher Schnee liegt und tiefster Winter zu herrschen scheint. Intuitiv nehmen wir daher die Zone über der Waldgrenze, wo keine Bäume, dafür Gletscher wachsen können, als kalt und lebensfeindlich wahr. Tatsächlich unterscheiden sich hier die Lebensbedingungen deutlich von jenen der Tieflagen: Im Gebirge sind die Winter lang und die Sommer kurz. Schneefall ist zu jeder Jahreszeit möglich. Winde wehen stärker, die UV-Strahlung ist höher. An der Sonne ist es heiss, im Schatten kalt – Mittelmeerbedingungen und arktische Verhältnisse liegen so auf engstem Raum nebeneinander. Wer, so fragt man sich, vermag unter diesen Bedingungen zu (über)leben?

(Foto: Hans Lozza, SNP)
(Foto: Hans Lozza, SNP)

Die Alpen – ein Hotspot der Biodiversität

Lange Zeit ging man davon aus, dass die Artenvielfalt in den «lebensfeindlichen» Hochlagen gering ist. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch ein anderes Bild: Auf der Alp Flix in der Gemeinde Surses wurden oberhalb der Waldgrenze mehr als 3500 Arten nachgewiesen – dies sind über sieben Prozent aller Arten der Schweiz auf nur fünf Quadratkilometern! Doch nicht nur die Artenvielfalt ist hoch, sondern auch die internationale Verantwortung der Schweiz für deren Erhaltung. Denn viele Arten der Alpen sind an ihren Lebensraum angepasst und für ihre Existenz auf die hier herrschenden Bedingungen angewiesen.

Alpen-Fettblatt. (Foto: Hans Lozza, SNP)
Alpen-Fettblatt. (Foto: Hans Lozza, SNP)

Anpassungen für ein Leben im Gebirge

Die Vielfalt der Tiere und Pflanzen im Gebirge erschliesst sich oftmals nicht auf den ersten Blick. Zwar sind einige Arten wie Murmeltier oder Alpendohle verbreitet und bekannt. Doch wer kennt das Alpen-Fettblatt, den Kleinen Scheckenfalter, die Gletscher-Glasschnecke oder das Steinhuhn? Wer die Kraut-Weide, den kleinsten Baum der Welt? Wer die Fransen-Nabelflechte, die Schneemaus oder die Blutalge? Diesen und vielen weiteren Arten kann man in den Bergen Graubündens begegnen. Wer näher hinschaut, entdeckt eine verblüffende Vielfalt an Anpassungen, die das Leben und Überleben im Gebirge ermöglichen.
Der extremste Gipfelstürmer unter den Alpenpflanzen ist der Gegenblättrige Steinbrech. Er ist auch auf über 4500 m ü. M. zu finden und erträgt Temperaturen von bis zu -40 °C. Das Alpen-Fettblatt fängt als fleischfressende Pflanze Insekten und verschafft sich so wichtige Nährstoffe. Ein Tarnkünstler ist der Schneehase – im Winter ist er weiss, im Sommer braun. Das Steinhuhn steigt im Hochwinter auf 3000 m ü. M., um auf Bergkämmen, wo der Wind den Schnee fortweht, grüne Pflanzenteile zu fressen. Die Schlafmütze par excellence ist das Murmeltier – es verschläft den Winter einfach in seinem Bau.

Gegenblättriger Steinbrech. (Foto: Hans Lozza, SNP)
Gegenblättriger Steinbrech. (Foto: Hans Lozza, SNP)

Eine Wanderung in die Berge

Die Sonderausstellung «Gipfelstürmer und Schlafmützen» stellt mehr als 30 Pflanzen und Tiere der Bündner Bergwelt vor. Präparate, Dioramen, Fotos, Tonaufnahmen und Filme erzählen Spannendes und Unerwartetes über diese Lebewesen. Kinder können in einen «Munggenbau» kriechen. Die Biegsamkeit von Leg-Föhren lässt sich 1:1 erfahren.

Die Ausstellung, eine Eigenproduktion des Bündner Naturmuseums, lässt sich wie auf einer Bergtour erleben – auf einem Wanderweg und mit Modulen, die stetig höher werden. Von der Alp Tavaun steigt man über das Hotel Alpendohle und das Mungge-Joch hinauf zum Piz Crusch, wo einem das Gipfelkreuz mit Gipfelbuch erwartet. Grossformatige Fotos sorgen für ein zusätzliches Berg-Feeling. Eine Sitzbank lädt unterwegs zur Rast. Auf dem Weg zum Gipfel stösst man wiederholt auf versteckte Spuren menschlicher Aktivitäten.

«Gipfelstürmer und Schlafmützen» öffnet die Augen für die Wunder des Gebirges. Die Ausstellung motiviert und animiert, die Natur der Alpen auch draussen zu erleben und zu entdecken. Sie stärkt das Bewusstsein und die Sensibilität für die Einmaligkeit der Naturschätze der Berge vor unserer Haustür.

Schneemaus. (Foto: Hans Lozza, SNP)
Schneemaus. (Foto: Hans Lozza, SNP)
Vernissage am 24. März

Die Vernissage der Ausstellung findet am Donnerstag, 24. März 2022 um 19.00 Uhr im Nationalparkzentrum in Zernez statt. Dr. Ueli Rehsteiner, Direktor des Bündner Naturmuseums, erläutert die Idee des Ausstellungskonzepts. Hans Lozza, Leiter Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit des Schweizerischen Nationalparks, führt durch den Abend. Der Eintritt ist frei. Zum anschliessenden Aperitif sind alle herzlich eingeladen.

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