Mit Schwung räumt die Fräse.
Mit Schwung räumt die Fräse. © Jürg Wirth

Den Flüela räumen

Jürg Wirth Sie mögen Schnee, aber räumen ihn trotzdem jeden Frühling wieder weg: Jürg Rocco und Werner Leuthold räumen im Auftrag von Pro Flüela die Passstrasse zwischen Davos und Susch.

Jedes Jahr freut sich Werner Leuthold, wenn er wieder in «seinem» Pneulader sitzen kann, um damit die Flüelapassstrasse zu räumen. Und die Freude muss tatsächlich gross sein, immerhin sitzt er schon rund 24 Jahre im Pneulader. Total seit etwa 40 Jahren räumt der Zernezer den Flüelapass. Anfangs war er Angestellter bei der Firma Laurent aus Ramosch, mittlerweile arbeitet er im Auftrag von Pro Flüela respektive von Jürg Rocco, der nun sein Chef ist. Obwohl sich Leuthold eigentlich nichts mehr zu sagen lassen braucht, schliesslich ist er seit etwa zehn Jahren pensioniert. Deshalb gönnt er sich jetzt ab und an auch mal einen freien Nachmittag, wenn er nach der Passhöhe Richtung Susch unterhalb von Chant Sura zugange ist. Denn dort beginnen die gefährlichen Lawinenzüge, welche die Passstrasse immer wieder verschütten. «Bis zum Mittag kann man dort problemlos arbeiten, nachher wird es gefährlich», weiss Leuthold. Tatsächlich habe eine Lawine einst seinen damaligen Chef Emil Laurent samt Pneulader mitgerissen. Passiert sei ihm aber glücklicherweise nichts, nur die Tabakpfeife habe er nicht mehr gefunden. Weniger Glück hatte da der Car, welcher 1988 unter eine Lawine kam. Vier Personen starben bei diesem Unglück.

Seit gut 40 Jahren räumt Werner Leuthold den Flüelapass frei.
Seit gut 40 Jahren räumt Werner Leuthold den Flüelapass frei. © Jürg Wirth

Pro Flüela räumt

Damals war der Pass noch das ganze Jahr über geöffnet, weil er die einzige Verbindung auf Schweizer Seite ins Unterengadin darstellte. Dies änderte sich 1999 mit der Eröffnung des Vereinatunnels. Damit wurde die Verbindung über den Pass obsolet, sprich nicht mehr gebraucht, zumindest in den Augen des Kantons. Einige Engadiner und Davoser jedoch sahen das anders und hätten den Pass am liebsten immer noch den ganzen Winter über offen gehalten. Allerdings war das finanziell nicht machbar, obwohl die Pro Engiadina Bassa anfangs einen Strassenzoll von CHF 5.- pro Fahrzeug eingezogen hatte. Bis ihr dies vom Kanton verboten wurde. Darauf entstand die Idee einer Vereinigung, welche für die Räumung des Passes sorgen sollte, um damit die Dauer der Wintersperre etwas zu verkürzen. Treibende Kraft dabei war der damalige Davoser Grossrat Leo Koch. Am 1. September 2000 war es schliesslich so weit: In Zernez wurde der Verein Pro Flüela gegründet. Dieser finanziert sich aus Mitgliederbeiträgen und einem substanziellen Beitrag des Kantons Graubünden. Mit den Mitteln des Kantons ist der Auftrag verbunden, den Pass von November bis Mitte Januar offen zu halten und dann wieder von Mitte April bis Ende Mai. Die restliche Zeit sorgt der Kanton für eine durchgehend befahrbare Strasse. Den Auftrag führt Jürg Rocco aus, der seit dem Jahr 2000 quasi das Räumungsmandat innehat und eben Werner Leuthold.

Die beiden beginnen immer auf der Davoser Seite, jenseits der Barriere nach dem Tschuggen. Zuallererst starten sie aber zu einem Erkundungsflug mit dem Helikopter. Dabei machen sie sich ein Bild über die allgemeine Schneesituation respektive dessen Höhe. In diesem Jahr war die Lage nicht so eindrücklich, wie Rocco sagt. Letztes Jahr hingegen habe man die fünf Meter hohen Latten entlang der Strasse kaum mehr gesehen.

Bei Leutholds Arbeit sind Schwung und Konzentration gleichermassen wichtig.
Bei Leutholds Arbeit sind Schwung und Konzentration gleichermassen wichtig. © Jürg Wirth

Viel Konzentration nötig

Um den Schnee zu räumen, setzt sich Rocco entweder ins Pistenfahrzeug oder in die Schneefräse. Das Pistenfahrzeug kommt dann zum Einsatz, wenn der Schnee besonders hoch liegt. Dann presst und schiebt Rocco die Schneemassen so, dass er sie nachher wegfräsen kann. Doch auch dies klingt einfacher, als es ist. «Bei viel Schnee fräse ich mich quasi in den Haufen, hebe dann die Fräse etwas an, bis der Schnee oberhalb der Fräse einstürzt. Dann fahre ich zurück, um dann wieder reinzufräsen.» Und obwohl er nicht von Hand schaufle, sei die Arbeit durchaus anstrengend, weil sie viel Konzentration erfordere und ein waches Auge. Zu den besten Zeiten hätten sie acht bis zehn Stunden am Tag gearbeitet und den Pass in rund zehn Tagen geräumt gehabt. Mittlerweile würden sie es etwas ruhiger angehen, sagt Rocco. Das wache Auge braucht es nicht nur, um die Strasse immer zu finden, sondern auch, um die Lawinensituation richtig einzuschätzen. Und da ist Rocco der richtige Mann, schliesslich war er lange Jahre Sicherheitschef im Skigebiet Davos und auch zuständig für die Einschätzung der Lawinengefahr. Bis zum Hospiz gehe es eigentlich immer, weiss Rocco, erst danach werde es gefährlich. Also dann, wenn Leuthold ins Geschehen eingreift, denn sein Pneulader steht im Magazin bei Chant Sura. 58 Lawinenzüge zwischen Davos und Susch seien im Kataster eingetragen, jeder mit eigenem Namen. Rund zwei Drittel würden einmal pro Jahr «kommen», die anderen rund alle zehn Jahre. Man dürfe nicht spielen mit dem Zeug, fasst Rocco die Situation zusammen.

Anfangs sei die Beurteilung der Lawinensituation noch ausgelagert gewesen, mittlerweile komme alles aus einer Hand, aus derjenigen Roccos, sagt dieser mit einem verschmitzten Lächeln. Und da hat er angesichts der vielen Lawinenzüge doch einiges zu tun. Zudem sei es viel schwieriger, die Situation von unten her zu beurteilen, anstatt wie früher im Skigebiet von oben. Gibt Rocco grünes Licht, steigt Leuthold in den Pneulader und räumt die zahlreichen Lawinenkegel und andere Schneehaufen weg. Auch er muss dabei immer bei der Sache sein. Denn beim Schneeräumen mit dem Pneulader spielt Schwung eine wichtige Rolle. Nur mit Schwung gelingt es auch, grössere Mengen von der Strasse ins Tal zu schieben. Und nur mit viel Konzentration schafft es Leuthold, immer rechtzeitig zu bremsen und mit seinem Pneulader nicht denselben Weg wie der weggeräumte Schnee zu nehmen. Auf dass er auch im nächsten Jahr wieder in seinem geliebten Gefährt sitzen kann.

proflüela.ch

Jürg Rocco ist der Chef der Flüela-Räumung.
Jürg Rocco ist der Chef der Flüela-Räumung. © Jürg Wirth
Werner Leuthold sitzt gerne in seinem Pneulader.
Werner Leuthold sitzt gerne in seinem Pneulader. © Jürg Wirth

Das könnte Sie auch interessieren