Gesund reisen – der Chefarzt klärt auf

Annelise Albertin Dr. Theodor von Fellenberg ist Chefarzt am Center da sandà Val Müstair, Facharzt für Allgemeine Medizin sowie Facharzt für Reise- und Tropenmedizin. Warum Tropenmedizin ein wichtiges Thema ist und wie er Fachwissen und Führungsverantwortung vereint, erzählt er im Interview.

Herr Dr. von Fellenberg, wie geht es Ihnen?

Danke der Nachfrage, es geht mir gut.

Ich nehme an, dass Sie diese Frage bestimmt mehrmals am Tag Ihren Patienten stellen, aber selbst wohl nicht allzu oft gefragt werden?

Das ist tatsächlich so. Die Leute gehen davon aus, dass ein Arzt nie krank ist oder krank werden kann, obwohl wir täglich mit ansteckenden Krankheiten zu tun haben und auch älter werden.

Sie sind Facharzt für Reise- und Tropenmedizin. Wie kommt es, dass Sie sich auf dieses Fachgebiet spezialisiert haben?

Das war Zufall. Während meines Medizinstudiums erfuhr ich durch Bekannte, dass ein Hilfswerk in Bolivien Ärzte braucht und mein erster Gedanke war: «Warum nicht?». Ich war schon immer am ganzen Menschen interessiert, nicht nur an einzelnen Organen. Daher war eine Assistenzstelle in einem Entwicklungsland eine gute Option. Um Erfahrungen zu sammeln, ging ich daher als Student für dreieinhalb Monate nach Indien und war fasziniert von den Heilungschancen, die wir diesen Menschen bieten konnten. Ich sah damals zum ersten Mal mit eigenen Augen, wie mit Impfungen, Aufklärung und Hygiene viele bei uns schon vergessene Krankheiten verhindert werden konnten.

Nach dem Studium absolvierte ich den Tropenkurs in Hamburg und bildete mich danach in der Schweiz während acht Jahren auf verschiedenen Fachgebieten wie Innerer Medizin, Gynäkologie, Pädiatrie und Chirurgie weiter, um für die Arbeit in einem Entwicklungsland gerüstet zu sein. In dieser Zeit lernte ich meine Frau kennen. Sie ist diplomierte Intensiv- und Notfallpflegefachfrau und plante ebenfalls, den weniger privilegierten Menschen in ärmeren Ländern zu helfen. Wir hatten eine Stelle an einem Krankenhaus in Simbabwe in Aussicht, die wir aber wegen der damaligen politischen Unruhen im Land nicht antreten konnten. Es wurde dann schlussendlich Haiti; unsere Hochzeit 1998 war gleichzeitig unser Abschiedsfest von daheim. Wir blieben zweieinhalb Jahre in Haiti, bis uns die Gesundheit unserer neugeborenen Tochter, die zunehmende Kriminalität im Land und unsere finanzielle Situation zwangen, in die Schweiz zurückzukehren.

Was genau umfasst das Fachgebiet der Tropenmedizin?

Es ist ein breites Spektrum: Infektiologie, Krankheiten in anderen Klimazonen, «Armutsmedizin» und «Public Health». Letzteres bedeutet Schutz und Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit, psychologische Unterstützung sowie die Organisation in den Spitälern. In der Schweiz beinhaltet es vor allem Reiseberatung und die Behandlung von Reiserückkehrern. Zusätzlich werde ich oft von Patienten aufgesucht, welche nicht alltägliche Krankheitssymptome haben und vermuten, an einer speziellen Infektion zu leiden.

Welche Impfungen sind für Reisen in tropische Länder besonders wichtig?

Es kommt auf das Land an, in das man reisen möchte. Als Erstes muss man abklären, welche Krankheiten dort vorkommen. Zum Beispiel kommt Gelbfieber, eine tödliche Krankheit, nicht in allen tropischen Ländern vor; in Asien gibt es diese Krankheit nicht, hingegen für Südamerika und Afrika ist diese Impfung empfohlen. Dagegen tritt die Japanische Enzephalitis in Asien auf, jedoch nicht in Afrika und Südamerika. Auch sind die Impfungen gegen Tollwut, Typhus, FSME, Meningokokken etc. nicht in allen Ländern notwendig. Zusätzlich kommt es darauf an, um welche Art von Reise es sich handelt. Ein Rucksacktourist ist anderen Gefahren ausgesetzt als ein Geschäftsreisender oder jemand, der in einem tropischen Land eine Arbeit aufnimmt.

Was sind die häufigsten Gesundheitsrisiken für Reisende in tropische Gebiete, und wie kann man sich schützen?

Die grössten Risiken mit oft tödlichem Ausgang stellen Strassenverkehrsunfälle dar. Der Strassenverkehr in diesen Ländern birgt erhöhte Gefahren. Man kann sich schützen, indem man darauf achtet, mit wem man mitfährt, nicht ohne Helm auf einem Motorrad fährt – alles Dinge, die der gesunde Menschenverstand einem sagt. Die meisten schweren Krankheiten werden durch Mücken übertragen wie zum Beispiel das Dengue-Fieber, Malaria und Gelbfieber. Ich empfehle immer, Mückensprays mit 25% DEET, Moskitonetz, langärmlige Kleider und je nach Land Malariaprophylaxe respektive Malaria-Standby-Therapie.

Welche Fehler machen Reisende oft in Bezug auf ihre Gesundheit?

Oft werden Hitze und Sonnenstrahlen unterschätzt. Je näher am Äquator, desto stärker die Sonneneinstrahlung. Gegen Sonnenschäden und einen Sonnenstich sollte man sich mit einem Sonnenhut, Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor und genügend Flüssigkeitszufuhr schützen. Sehr viele Reisende erleiden Brechdurchfälle. Beim Essen gilt die Regel: «cook it, peal it oder leave it», was so viel heisst wie «koch es, schäl es oder lass es». Es ist ratsam, Elektrolytlösungen, die das Austrocknen bei starken Durchfällen verhindern, und Medikamente gegen Durchfälle im Reisegepäck zu haben.

Welche sind die häufigsten tropischen Krankheiten, mit denen Sie hier in der Praxis konfrontiert werden?

Das sind Viruskrankheiten, Hautparasiten, Darm- und Blasenparasiten, Tuberkulose, Typhus, Dengue, Chikungunya, Malaria und einmal sogar die Japanische Enzephalitis, die in Asien durch Mücken übertragen werden kann.

Meinen Sie, dass der Klimawandel die Verbreitung tropischer Krankheiten beeinflusst?

Ja, bestimmt. Früher galten Zecken in Höhenlagen über 1000 Meter als selten oder gar nicht vorkommend. Mit dem Klimawandel wurden in den letzten Jahren Zecken bis auf 1700 Metern festgestellt. Auch gab es schon erste Fälle von Dengue-Fieber in Europa. Es wird von der Tigermücke übertragen, welche sich zunehmend in Europa ausbreitet. Früher gab es diese Mücken nur in tropischen Regionen, heute hat man sie auch schon im Tessin gefunden.

Mit welchen tropischen Krankheiten kann man sich auch zu Hause infizieren und was kann man dagegen tun?

Unsere gute Ernährung, das saubere Wasser und die bis jetzt noch nicht in der Schweiz vorkommenden Überträger sorgen dafür, dass wir zu Hause diesen Gefahren (noch) nicht ausgesetzt sind. Die letzte Typhus-Epidemie war in den 1960er-Jahren.

Heute sind Sie Chefarzt im kleinsten Spital der Schweiz. Wie kam es zu diesem beruflichen Neuanfang und weshalb gerade Sta. Maria?

Auch das war Zufall. In der Ärztezeitung war die Oberarztstelle in Santa Maria im Münstertal ausgeschrieben. Wie schon eingangs erwähnt, haben uns die Umstände zu einer Rückkehr in die Schweiz gezwungen. Ich dachte zuerst, das Spital sei in Münster im Wallis. Nach einem halben Jahr in Sta. Maria wurde ich zum Chefarzt befördert. Die Arbeit ähnelt den Einsätzen in den Tropen, man hat täglich mit allen möglichen gesundheitlichen Problemen zu tun, weil es keine Spezialisten vor Ort gibt. In den ersten Jahren waren wir zu zweit als Chefärzte tätig, Dr. Furrer und ich. In dieser Zeit konnte ich alle zwei Jahre für acht Monate in die Tropen reisen (Kamerun, Solomon Islands), um dort zu arbeiten. Dann wanderte Dr. Furrer nach Afrika aus, und es folgten 14 arbeitsreiche Jahre, in welchen ich allein als Chefarzt mit ein bis zwei Assistenten und Praxisvertretern in Sta. Maria war. Heute teile ich mir die Arbeit mit dem Ärzteehepaar Horn Morf.   

Auf welchen weiteren Spezialgebieten kann man sich im CSVM behandeln lassen?

Wir sind ein Kompetenzzentrum für Ultraschalluntersuchungen und erteilen Ausbildungskurse für Ärzte. Jeder unserer Ärzte ist einerseits Generalist, deckt aber auch weitere Spezialgebiete ab wie zum Beispiel Urologie, Gynäkologie, Pädiatrie, Magen-, Darm- und Nasenspiegelungen, Augentests, Herz- und Lungenabklärungen sowie ambulante Varizenbehandlung, welche eine Operation überflüssig machen.

Um zur ersten Frage zurückzukommen: Wie tragen Sie Sorge zu Ihrer Gesundheit? Haben Sie Erholungsrituale?

Ich habe die Gabe, gut abschalten zu können. Wenn ich aus dem Spital bin, vergesse ich, was ich gesehen und gehört habe. Die Leute auf der Strasse sind dann nicht mehr meine Patienten, sondern Mitmenschen. Wir haben einen grossen Garten, wo ich mich in der Freizeit gerne beschäftige. Meine Familie ist mein Ausgleich und meist verbringen wir sechs Wochen im Jahr als Familienferien. Jetzt arbeite ich nur noch in einem Teilpensum von 80 %, was mir auch etwas mehr Freiraum verschafft.

© Center da sandà Val Müstair

Dr. Theodor von Fellenberg ist in Bern aufgewachsen. Er und seine Frau Nathalie sind Eltern von vier Kindern. Der Plan war, ein Jahr in Sta. Maria zu arbeiten, daraus sind mittlerweile 24 Jahre geworden. Das Val Müstair ist ihnen zur Heimat geworden. Dr. von Fellenberg ist zudem Mitglied der Fachkommission der Biosfera Val Müstair, weil er mithelfen möchte, dass die Bevölkerung weiterhin im Tal leben und arbeiten kann, ohne dass die schöne Landschaft und die intakten Dörfer unnötig zerstört werden.

 

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