Neue Atomkraftwerke sind nicht realisierbar

Jürg Wirth Michael Roth war acht Jahre Direktor der Engadiner Kraftwerke. Nun zieht es ihn weiter, er bleibt der Strombranche jedoch erhalten – als Leiter des Geschäftsbereichs Produktion und Netze bei Repower. Im Gespräch mit ALLEGRA sinniert er über Stromlücken, Stromsparen und mehr.

Geht uns bald der Strom aus?

Diese Frage mit Ja oder Nein zu beantworten, ist sehr schwierig. Sicher ist, dass Strom ein knappes Gut werden wird und dessen Verfügbarkeit in Frage gestellt wird. Schon heute produziert die Schweiz zu wenig Strom, um ihren Bedarf zu decken. Gleichzeitig könnten geplante EU-Regelungen den Import komplizieren.

Was sehen diese Regelungen vor?

Die sehen vor, dass 70 Prozent der grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungen für den EU-Handel bereit sein sollen. Damit wird das europäische Netz stärker belastet als bisher. Es ist denkbar, dass unsere europäischen Nachbarn deshalb die Stromflüsse in Richtung Schweiz begrenzen müssen. Das heisst aber für die Schweiz, dass weniger importiert werden kann und somit mehr selber produziert werden muss.

Gleichzeitig schalten wir noch die AKWs ab, das heisst, dass der Druck auf die Schweiz steigt, mehr Strom zu produzieren.

Und wie ist darauf zu reagieren?

Wir müssen neue Produktionskapazitäten schaffen und den bestehenden Kapazitäten Sorge tragen. Zudem müssen wir Vereinbarungen mit den umliegenden Ländern treffen, für den Handel und den Import von Strom.

Braucht es Atomkraftwerke?

Die Frage ist obsolet. Wir brauchen sehr bald zusätzliche Produktionskapazitäten. Der Bau eines Kernkraftwerks dauert hingegen viel zu lange. Zudem ist die gesellschaftliche Akzeptanz neuer Kernkraftwerke nicht gegeben und es gibt auch keine Unternehmen, die bereit sind, in neue Kernkraftwerke zu investieren. Neue Kernkraftwerke sind in absehbarer Zeit in der Schweiz nicht realisierbar.

Welches wären denn die Produktionskapazitäten?

Die einzige breit akzeptierte Technologie ist die Fotovoltaik. Allerdings produziert man mit Fotovoltaik vor allem Sommerstrom, der weniger benötigt wird. Es braucht daher die Wasserkraft mit grösseren oder neuen Stauseen, mit denen die Sommerenergie für den Winter gespeichert werden kann. Auch Windkraftwerke wären für den Winterstrom nützlich. Doch leider sind Wind- und Wasserkraftwerke, wenn überhaupt, nur nach jahrelangen Verfahren und Streitereien baureif. Deshalb ist damit zu rechnen, dass auch die Schweiz als Übergangslösung Gaskraftwerke braucht.

Mehr Winterspeicher heisst mehr Stauseen?

Ja oder zumindest grössere. Denn Fotovoltaik ist die einzige Stromproduktion, die unumstritten ist. Aber eben, sie braucht einen Speicher, heisst einen Stausee.

Wie sieht es aus mit Stromsparen?

Stromsparen ist natürlich immer gut. Es fragt sich allerdings etwas, was man sparen soll. Am besten spart man Energie, in dem sie nicht gebraucht wird. Schaffen wir es allerdings, viel Energie, hier reden wir primär von fossiler Energie, zu sparen, so steigt dadurch der Stromverbrauch.

Weshalb?

Weil wir beispielsweise bei den Heizsystemen Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen ersetzen oder bei den Fahrzeugen solche mit Benzin- oder Dieselmotoren durch Elektroautos. Dank der Effizienz wird mit diesen Technologien zwar viel Energie gespart, doch der Strombedarf steigt dadurch. So ist das Energiesparen eigentlich ein Bekenntnis zu mehr Stromverbrauch.

Wie stehen Sie der wachsenden Zahl von Elektroautos gegenüber?

Von der Energieeffizienz her sind Elektroautos sicherlich begrüssenswert, ob das aber die einzige Technologie ist, ist fraglich. Ich sähe da auch Antriebe mit Wasserstoff oder hybride Antriebe.

Und das Allerwichtigste, wenn man mit Autos Energie sparen will, sind kleine, leichte, verbrauchsarme Autos. Ein kleines, leichtes Auto mit einem Verbrennungsmotor ist möglicherweise sinnvoller als ein schweres Elektrofahrzeug.

Haben Sie ein Elektroauto?

Nein. Aber ich denke, das wird eine Frage der Zeit sein, bis ich auch eines kaufe.

Sie waren acht Jahre Direktor der EKW und wechseln jetzt zu Repower. Was fasziniert Sie an der Elektrizität, am Strom?

Mich faszinieren vor allem die interspezifischen Fragestellungen. Bei einem Kraftwerk beispielsweise muss man sich nicht nur in Elektrotechnik auskennen, sondern auch im Maschinenbau oder im Bau selber. Dazu kommen die Steuerungen, welche modernste Telekommunikationstechnologie benötigen. Weil die Kraftwerke relativ alt werden, besteht auch ein Nebeneinander von eher alten Geräten oder Technologien und topmodernen Bestandteilen. Das heisst, man braucht auch eine gute Übersicht über die technische Geschichte.

Zudem muss man als EKW-Direktor von den Fischen ebenso viel Ahnung haben, wie von Turbinen. Dann ist das Ganze auch noch hochpolitisch und man muss immer für die Akzeptanz sorgen. Die weltweite Vernetzung ist ebenfalls eindrücklich. Was beispielsweise in den USA auf den Ölplattformen läuft, hat auch Auswirkungen auf den Energiemarkt in der Schweiz.

Wollten Sie denn schon immer in die Strombranche?

Na ja, fast. Ich habe Hochspannungstechnologie studiert, dann aber drei Jahre in der Eisenbahnbranche gearbeitet. Danach habe ich in die Energiebranche gewechselt und bin geblieben.

Welches sind denn die Voraussetzungen für diese Branche?

Das kommt etwas darauf an, in welchem Bereich man arbeitet. Es gibt schon auch die Spezialisten, welche sich ein Leben lang mit der idealen Form einer Turbine befassen. Mich aber fasziniert die Breite. Ich kann zwar keinen Transformer konstruieren oder auch keinen Tunnel bauen, dafür verstehe ich von allen Gebieten etwas, die mit Kraftwerken und deren Bau zu tun haben.

Was waren die prägendsten Momente bei der EKW?

Der prägendste Moment, respektive das prägendste Projekt war sicherlich die Sanierung des Grundablasses der Staumauer Punt dal Gall. Dies machten wir, ohne das Wasser abzulassen, weil sonst die Sedimente und Ablagerungen das ökologische Gleichgewicht im Spölbach zerstört hätten. Also entschieden wir uns für ein 25-Millionen-Projekt, bei dem Taucher auf der Wasserseite der Staumauer einen Deckel auf den Grundablass montieren und wir danach den Grundablass sanieren konnten. Was jetzt einfach klingt, war sehr aufwändig. Denn der Grundablass liegt 130 Meter unter dem Seespiegel, kombiniert mit der Lage auf 1800 Meter über Meer, hätten die Taucher eine Auftauchzeit von fünf Tagen gebraucht, um keine gesundheitlichen Schäden davonzutragen. Das ging also nicht. Deshalb lebten die Taucher während der ganzen Arbeit einen Monat lang in einer Druckkammer, welche den Druck dort unten simulierte. Zum Arbeiten stiegen sie in eine Tauchglocke, welche an den Grund der Staumauer gelassen wurde. Dort stieg dann einer aus zum Arbeiten und der andere überwachte ihn, nach drei Stunden war Wechsel.

Ich war extrem erleichtert, als ich den Bescheid bekam, dass alles gut gegangen und der Deckel montiert und dicht war. Schliesslich wussten wir nicht genau, wie es dort unten aussah, hatten wir doch nur die alten Pläne, deren Genauigkeit bezweifelt wurde.

Ein weiteres Highlight war der Bau des Gemeinschaftskraftwerks Inn, unterhalb von Martina. Ein derart grosses Kraftwerk, das seit bald 90 Jahren geplant wird, bauen zu dürfen, ist ein grosses Geschenk.

Nun gibt es auch noch die PCB-Problematik (polychlorierte Biphenyle) im Spöl sind Sie froh, dass Sie das nicht mehr erledigen müssen?

Nicht unbedingt. Ich finde das ein faszinierendes Thema. Sicher ist die PCB-Belastung im Spöl auch für EKW sehr unerfreulich und womöglich mit hohen Kosten verbunden. Allerdings ist die Lösung des Problems sehr interessant; wie soll das PCB entfernt werden, mit welchen Methoden. Da fehlen noch die Erfahrungen.

Auch die rechtlichen Verfahren sind einmalig und sehr spannend. So ist die Thematik zwar unschön, aber ich werde das trotzdem vermissen.

Was hat Sie zum Wechsel bewogen?

Ich bin eigentlich von Anfang an davon ausgegangen, dass ich fünf bis zehn Jahre bei den EKW bleiben werde. Dies auch deshalb, weil die EKW ein Joint Venture oder wie viele sagen, ein Partnerwerk der Aktionäre sind. Unser Auftrag ist es, günstig, nachhaltig und zuverlässig Strom zu produzieren. Vermarktung oder Verkauf fällt dann aber nicht mehr ins Aufgabengebiet der Engadiner Kraftwerke. Bei der Repower aber schon, weil dieses Unternehmen direkt am Markt agiert. Zudem ist Repower auch noch in Italien und an anderen Märkten tätig. Des Weiteren hat mich auch die strategische Komponente meiner neuen Stelle «gluschtet».

Im Gegensatz zu den EKW verfügt Repower nicht nur über Wasserkraftwerke, sondern hat auch ein thermisches Werk im Portfolio und Bezugsrechte an AKWs, wollten Sie mehr Abwechslung?

Ja, die Abwechslung und die verschiedenen Technologien waren sicher eine wichtige Motivation.

Sie sind Leiter Produktion und Netze, welches sind da Ihre nächsten Aufgaben?

Ein grosses Thema wird sicherlich die Erneuerung des Kraftwerkes Robbia am Berninapass sein. Das in die Jahre gekommene Kraftwerk wird umfassend erneuert: neue Maschinen, neue Druckleitungen, neue Wasserfassungen. Insgesamt werden rund 160 Millionen investiert.

Auf der längeren Zeitachse dürfte das Kraftwerk «Chlus» im Prättigau zwischen Küblis und Landquart interessant werden. Denn vor der allgemeinen Entwicklung des Energiemarktes könnte es sein, dass dieses Projekt, welches mehrere 100 Millionen Franken kosten würde, doch realisiert werden kann.

Wie sieht es mit dem Projekt Lago Bianco aus?

Das könnte irgendwann mal zum Thema werden, aber im aktuellen Umfeld ist die Rentabilität doch stark in Frage gestellt. Dieses Projekt steht sicher nicht als erstes im Fokus.

Momentan ist der «Heimfall» der Kraftwerke ein grosses Thema. Also die Tatsache, dass die Konzessionen der Werke auslaufen und dann Kanton oder Gemeinden die Werke übernehmen könnten. Wie stehen Sie dem gegenüber?

Das Wasserrecht liegt in der öffentlichen Hand, in Graubünden konkret bei den Gemeinden. Es liegt also an der öffentlichen Hand zu entscheiden, ob sie diese Wasserkräfte selber nutzen wollen oder nicht. Die Strategie im Kanton Graubünden lehnt sich an vergleichbare Strategien in anderen Gebirgskantonen an. Auch wenn die Konzessionen von Repower noch lange nicht auslaufen, wird sich Repower wie auch alle anderen im Kanton aktiven Energieunternehmen fragen müssen, welche Rolle sie künftig einnehmen können.

Als Dienstleisterin?

Ja genau, denn jemand muss die Kraftwerke ja betreiben.

Und wie sieht es mit den Wasserzinsen aus?

Dieses Thema ist im Moment für sehr lange vom Tisch. Das Parlament hat beschlossen, die aktuelle Regelung bis 2030 beizubehalten.

Allerdings sind die Abgaben, welche die Wasserkraft zu entrichten hat, schon sehr hoch. Möchte man die Wasserkraft fördern, liesse sich das auch tun, indem die Wasserkraft weniger stark belastet wird. Momentan belaufen sich bei den EKW die Abgaben an die öffentliche Hand, Wasserzinsen, Steuern oder Gratisenergielieferungen auf 30 bis 40 Prozent des gesamten Umsatzes.

Wie sehen Sie die Zukunft der Energiewirtschaft?

Auf der Schweizer Ebene muss es in den nächsten Jahren darum gehen, die Energieversorgung sicherzustellen, sodass immer genügend Strom zur Verfügung steht, es keine Blackouts gibt und wir auch keine Kontingentierung einführen müssen.

Dann muss das Thema Energieversorgung mit der Klimapolitik in Einklang gebracht werden. Dafür braucht es wesentliche Zubauten zur Produktion erneuerbarer Energie, was nicht ohne Eingriffe in die Landschaft und die Biodiversität gehen wird. Es gibt jedoch keine einzige Art Energie zu gewinnen, ohne Spuren zu hinterlassen. Wichtig ist es auch, eine weitere Dezentralisierung der Stromproduktion zu ermöglichen. So sollen Gebäude nicht nur Konsumenten sein, sondern auch Produzenten, dies dank dezentraler Produktion und intelligenten Stromnetzen.

Michael Roth war acht Jahre lang Direktor der Engadiner Kraftwerke in Zernez. Nun wechselt er als Leiter des Geschäftsbereiches Produktion und Netze zu Repower.

Wechselt von den Engadiner Kratwerken zu Repower: Michael Roth.
Wechselt von den Engadiner Kratwerken zu Repower: Michael Roth. © zvg

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