Sonam bei der Halbhartkäseproduktion, die er auch in Bhutan anwenden will.
Sonam bei der Halbhartkäseproduktion, die er auch in Bhutan anwenden will. © Jürg Wirth

Aus Bhutan in die Schweiz zum Käsen

Jürg Wirth Unlängst waren Käser aus Bhutan in der Schweiz. Dabei gab es nicht nur für sie etwas zu lernen, sondern auch für den Schweizer Gegenpart – über Bhutan.

Sonam Tshewang ist gross und glücklich. Denn Sonam kommt aus Bhutan, und der Kleinstaat im Himalaya kennt das Bruttonationalglück. Gemäss Definition ist dies der Versuch, den Lebensstandard in Bhutan in breit gestreuter humanistischer und psychologischer Weise zu definieren. Dies quasi, um dem herkömmlichen Bruttoinlandprodukt etwas gegenüberzustellen.

Was die Körpergrösse angeht (Sonam misst tatsächlich rund 1.90 Meter), so seien Buddhisten, dies ist die Staatsreligion, normalerweise nicht so gross, wie der Bhutaner erklärt. Aber Ausnahmen scheinen auch hier die Regel zu bestätigen.

Aber vielleicht ist Sonam auch so gross, weil er viel Milch trinkt und Käse isst. Denn zusammen mit seiner Mutter betreibt der 27-jährige Mann in seinem Heimatdorf eine Käserei. Diese wurde in den 80er-Jahren im Rahmen einer Entwicklungszusammenarbeit mit der Schweiz erstellt und anfangs auch von den Schweizer*innen betrieben. Mit der Zeit übernahm dann Sonams Vater, und nach dessen Tod leitete Sonams Mutter die Geschicke des Betriebes, der primär Emmentaler und Gouda produziert. Zwecks käslicher Weiterbildung weilte Sonam unlängst in der Schweiz, unter anderem auch auf dem Betrieb und in der Käserei des Schreibenden. Deshalb denkt Sonam nun darüber nach, in Bhutan ebenfalls Halbhartkäse zu produzieren. Organisiert hat dies der Verein Mountain Grassroots Association in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft Schweiz-Bhutan unter Federführung der Scuolerin Tina Roner.

Beten vor der Abreise

Selbstverständlich haben die Bhutaner auch einen traditionellen Käse, wie Sonam erzählt. Dazu lassen sie die angelieferte Milch über Nacht stehen, sodass sie ansäuert. Am nächsten Tag nehmen sie dann jeweils eine Handvoll der Masse raus, übergiessen diese mit heissem Wasser und kneten die Masse zu einer Kugel – quasi Mozzarella auf Bhutanesisch. Essen würden diesen Käse vor allem die Mönche, sagt er. Überhaupt die Mönche und die Klöster: Von denen gäbe es ganz viele in Bhutan, wie Sonam sagt, trotzdem praktiziert er den Buddhismus eher zurückhaltend und nimmt es auch mit den Regeln nicht ganz so streng. Vor der Abreise in die Schweiz aber sei er in einen Tempel beten gegangen, damit die Reise gut verlaufe. Dem Gebet Nachdruck verliehen hat er mit einem kleinen Entgelt an die Mönche.

Sonam ist verheiratet und Vater eines zweijährigen Sohnes. Gemeinsam wohnen sie in einem relativ grossen Haus, in dem ab und zu auch Sonams Freunde übernachten, wenn sie es nach dem Ausgang nicht mehr nach Hause schaffen. Tatsächlich leben Sonam und seine Kollegen nicht nur zum Beten und Arbeiten. Sie würden ihre Freizeit oft in der nahen Stadt beim Poolbilliard und geselligem Beisammensein verbringen. Allerdings scheint die Auswahl nicht mehr so gross zu sein. Denn trotz Bruttonationalglück zieht es viele junge Bhutanes*innen ins Ausland. So studiert und arbeitet ein Bruder von Sonam in Australien und die Schwester lebt in Kanada.

Er selbst habe «no choice», wie er sagt, da er dereinst die Käserei übernehmen solle. Eine Perspektive, die ihn aber durchaus auch zuversichtlich stimmt. Denn schliesslich hat Sonam eine «factory», wie er die Käserei nennt, während vieler seiner Freund*innen noch als Landwirt*innen arbeiten und ihr Geld durchaus mühsamer verdienen müssen.

Gute Geschichtskenntnisse

In der Freizeit treffen sie sich dann alle, nicht nur zum Billardspielen, sondern auch zu traditionellen Festen. Da werde immer viel getanzt, sagt Sonam und strahlt übers ganze Gesicht. Klassische Volkstänze im Kreis oder in der Linie, schliesslich hätten sie eine Menge traditioneller bhutanesischer Musik. Doch sozialen Medien sei es gedankt, Sonam kennt sich auch in moderner westlicher Musik aus. Bereits bei den ersten Takten von «Blurred Lines» von Robin Thicke beginnt er zu wippen und leichte Tanzbewegungen anzudeuten. Selbstverständlich kennt er auch Roger Federer und sogar Xhaka und Shaqiri. Die beiden Schweizer Fussballer sind ihm ein Begriff. 

Was die humanistische Seite des Bruttonationalglücks, sprich die Schulbildung angeht, so scheint vor allem der Geschichtsunterricht profund zu sein. Jedenfalls kennt Sonam Mahatma Ghandis Nachfolger*innen als Premierminister*innen Indiens aus dem Effeff, zum Beispiel Jawaharlal Nehru oder Indira Ghandi. Aber auch die europäische Geschichte wird in Bhutan behandelt. Denn auch beim Zweiten Weltkrieg kennt sich Sonam sehr gut aus. Scheint also tatsächlich zu funktionieren, die Idee mit dem Bruttonationalglück und der Definition in humanistischer Weise.

Sonam mit dem Autor, der wohl etwas kleiner, aber nicht minder glücklich ist.
Sonam mit dem Autor, der wohl etwas kleiner, aber nicht minder glücklich ist. © Jon Roner

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