Battista Defendi hatte zu viele Schulden angehäuft und musste mit Land und Haus bürgen.
Battista Defendi hatte zu viele Schulden angehäuft und musste mit Land und Haus bürgen. © Jürg Wirth

Geschäfte von früher

Jürg Wirth Unlängst hat Mathias Stecher Kassabücher aus dem Geschäft seines Grossvaters und seiner Mutter an das Kulturarchiv Unterengadin übergeben. Daraus lassen sich viele interessante Tatsachen entnehmen.

5 kg Polenta, 1.65 Fr; Cickorien, 70 Rp.; 5 kg Caffe, 9 Fr.; Chocolat, 50 Rp.; 2 kg Hörnli, 1.40 Fr.; 1 kg Käse, 1.30 Fr.; 1 kg Zwetschgen, 1.95 Fr.

Dies ist ein Auszug aus den Einkäufen von Nicolaus Arquint im Laden von Tarasp zu Beginn des Jahres 1906. Heute kosten die fünf Kilo Polenta rund 20 Franken, der Käse mehr als zehnmal so viel und gleich viel Kaffee etwa 100 Franken. Cickorien gibt es in der Art nicht mehr, denn das war ein Kaffee-Ersatzprodukt.

Dass wir heute wissen, was der Herr Arquint alles eingekauft hat und zu welchen Preisen, verdanken wir auch Mathias Stecher. Denn Adolf Bütler, der damalige Ladenbetreiber, war Stechers Grossvater mütterlicherseits. Später dann, genauer im Jahre 1929, übernahm Stechers Mutter das Geschäft und führte den Laden bis 1966. Damals kam der Volg nach Tarasp. Das Geschäft der Stechers befand sich im Val Zuort in Richtung der heutigen Sägerei. Mathias Stecher hatte zehn Geschwister, weshalb die fünf Knaben auf dem elterlichen Hof mithalfen und die Mädchen bei der Mutter im Laden arbeiteten.

Wie damals üblich, trug der Ladenbetreiber sämtliche Einkäufe fein säuberlich in dicke Bücher ein. Diese liegen nun alle im Kulturarchiv Unterengadin. 

Wie Stecher erzählt, war es damals auch üblich, dass die Leute kaum je ihre Einkäufe direkt bar bezahlten, sondern sie auf- respektive anschreiben liessen. Die finanziell besser Gestellten hätten ihre Rechnungen jeweils Ende Monat bezahlt. Die Vertreter*innen des Prekariats hingegen, also die Leute mit den prekären finanziellen Verhältnissen, konnten meist erst bezahlen, wenn sie im Frühling auf dem Viehmarkt in Scuol einige Tiere verkauft hatten.

Ganz schlimm sei es nach dem Krieg gewesen, erzählt Stecher weiter. Da habe es viele Leute gegeben, die schlicht kein Geld mehr hatten. Seine Mutter hätte ihnen einen Kredit gegeben respektive liess sie anschreiben. Bis in die 50er-Jahre hätten sie einen weiteren gebraucht, um ihre Schulden abzuzahlen.

Wiesen als Pfand

Nicht alle Ladenbetreibende waren damals so kulant. Es gab auch solche, die von den Schuldner*innen die Wiesen im Gegenwert der Schulden übernahmen. So habe es auch einen Ardezer gegeben, der in der Weihnachtsnacht bei Stechers Grossvater angeklopft und um Essen gebeten habe, weil er nichts mehr hatte. Bütler habe ihm grosszügig Kredit gewährt, sagt Stecher. Diese Geschichte habe ihm ein Nachfahre des Schuldners erzählt, erklärt Stecher.

Allerdings hatte es auch bei Bütler mal ein Ende der Grosszügig- und Barmherzigkeit. Dies zeigt ein Dokument vom 16. Oktober 1910, welches im Kassenbuch liegt: Darin ist zu lesen, dass der bemitleidenswerte Battista Defendi dem Herrn Bütler die Summe von 414 Franken und 85 Rappen schulde. Diese habe er in jährlichen Raten von mindestens 50 Franken samt vier Prozent Zinsen zurückzuzahlen. Da der Kreditfähigkeit des Herrn Defendi offensichtlich nicht ganz getraut wurde, musste der arme Kerl als Sicherheit sein Land samt Hof im Wert von 3897 Franken hinterlegen. 

Die Abklärungen darüber, ob es mit der Rückzahlung geklappt hat oder ob Bütler das Land von Defendi übernommen hat, stehen noch aus. Oder sie können auf Anfrage in den Büchern im ACEB (Archiv Cultural Engiadina Bassa) angestellt werden. Dabei lässt sich auch gerade noch die Preissteigerung über all die Jahre verfolgen.

Die Einkäufe  von Nicolaus Arquint im Jahre 1906.
Die Einkäufe von Nicolaus Arquint im Jahre 1906. © Jürg Wirth

Das könnte Sie auch interessieren