Manchmal schneit es auch auf der Weide, doch Xar und Xesus nehmen das gelassen.
Manchmal schneit es auch auf der Weide, doch Xar und Xesus nehmen das gelassen. © Jürg Wirth

Von der Weide auf den Teller

Jürg Wirth Noch immer kommt oft Fleisch auf den Teller. Da lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen, wie aus den Tieren auf den Weiden Schnitzel werden.

Am Montag, dem 25. Januar 2021 haben Xesus und Xar in einem Viehanhänger der Marke Ifor Williams ihre letzte Reise angetreten. Diese führte sie in den neuen Schlachthof von Reto Zanetti in Ramosch. Und ja, die Geschichte hat kein Happyend, zumindest nicht für die beiden Protagonisten. Denn Xesus und Xar sind Ochsen von der Rasse des Rätischen Grauviehs (Ochsen sind kastrierte Stiere) und lebten zwei Jahre auf meinem Bauernhof. Rätisches Grauvieh ist eine einheimische Zweinutzungsrasse aus dem Berggebiet. Zweinutzung heisst, sie geben Fleisch und Milch, einfach von beidem nicht so viel, wie die darauf «spezialisierten» Rassen. Das Grauvieh kommt praktisch ohne Kraftfutter aus und frisst auf meinem Hof nur Heu oder dann das Gras von der Weide. Ihre Namen beginnen mit X, weil bei mir jeder Jahrgang einen fortlaufenden Anfangsbuchstaben aus dem Alphabet hat. Und Sie mögens ahnen, Xesus ist am 24. Dezember zur Welt gekommen.

Nach der Geburt verbringen die Kälber die ersten paar Tage bei der Mutter, bevor sie alle zusammen in die «Kindergartenabteilung» kommen. Zwei lange Sommer haben die Tiere auch auf der Alp verbracht und mehrere Wochen im Frühling und Herbst auf der Weide. Sie hatten also ein gutes Leben, finde ich. Weil sie als Männchen keine Kälber bekommen können und ich keine Stiere züchte, ist ihr Lebensziel also vorgegeben und heisst Fleisch.

Einen grossen Teil ihres Lebens verbringen die Ochsen auf der Weide.
Einen grossen Teil ihres Lebens verbringen die Ochsen auf der Weide. © Jürg Wirth

Im neuen Schlachthof

Am Schlachthof angekommen, begutachtet sie erst der Tierarzt. Gibt er grünes Licht, steigen sie etwas widerwillig aus dem Anhänger und begeben sich in das Schlachtlokal. Die Einzelheiten dort erspare ich der geneigten Leserschaft, doch das Ganze ist kurz und schmerzlos über die Bühne gegangen.

Seit letztem Herbst schlachten Hatecke und Zanetti gemeinsam im neuen Schlachthof von Reto Zanetti in Ramosch. Zuvor schlachtete auch noch Hatecke, doch dort hätte das Schlachtlokal erneuert und modernisiert werden müssen, weshalb sich die beiden Betriebe zur Zusammenarbeit entschlossen. Schliesslich ist der Schlachthof brandneu, modern eingerichtet und dank Zuschüssen vom Bund auf eine Kapazität von 35 Einheiten täglich ausgelegt. Momentan schlachten Zanetti und seine Mitarbeiter gemeinsam mit denjenigen von Hatecke rund 550 Stück Grossvieh jährlich. Dazu kommen 700 Schafe, 400 Schweine und 400 Ziegen. Der grössere Teil des hiesigen Viehs allerdings verlässt das Tal in Lastwagen und reist als sogenanntes «Labelvieh» zu den Schlachtereien von Coop oder Migros.

Nicht alle bei Zanetti geschlachteten Tiere zerlegt dieser selber. Ein Teil der geschlachteten Tiere läuft weiterhin über Hatecke. Das heisst, sie gelangen geviertelt nach Scuol zurück – unter anderem auch meine beiden. Geviertelt heisst, aufgeteilt in die beiden Vorderviertel und die bedeutend grösseren Hinterstücke. Danach zerlegen sie die Angestellten auf einer langen, weissen Bank, «Ausbeineln» heisst das im Fachjargon. Ausbeineln ist Teamwork, vier bis fünf Metzger stehen am Tisch und zerlegen die Tiere. Einer bräuchte ungefähr einen Tag, würde er alleine ein Tier zerlegen. Fell, Kopf, Füsse und der grösste Teil der Innereien holen Lastwagen und bringen diese in andere Betriebe, wo diese Stücke teilweise weiterverarbeitet werden.

Reto Zanetti zeigt seinen neuen Schlachthof.
Reto Zanetti zeigt seinen neuen Schlachthof. © Jürg Wirth
Als Viertel kommen die beiden Ochsen von Zanetti wieder zu Hatecke zurück.
Als Viertel kommen die beiden Ochsen von Zanetti wieder zu Hatecke zurück. © Jürg Wirth

Fleisch abhängen lassen

Beim Ausbeineln lösen die Metzger die Fleischstücke von den Knochen ab, vakuumieren die grossen Stücke, legen sie in Kisten und stellen diese in den Kühlraum. Dort «hängt» das Fleisch ab, das heisst, es wird bei kühlen Temperaturen zwei bis vier Wochen gelagert. Dabei baut sich das Eiweiss im Fleisch ab, wodurch dieses zarter wird. Wenn der Bauer will, kann er sich für die Edelvariante entscheiden und die Edelstücke am Knochen vier bis sechs Wochen in Hateckes Felsenkeller reifen lassen.

Allerdings liegen die Stücke vom Hals und der Brust nur kurz, da diese nachher für die Zubereitung gesotten werden. Daraus gibt’s dann beispielsweise Siedfleisch. Rücken, Schulter, Stotzen und Nuss vom Hinterbein ergeben Stücke zum Braten. Gut drei Wochen liegen aber die edlen Stücke wie Entrecote, Filet oder Huft. Diese stammen allesamt vom Rücken aus der hinteren Partie. Und von diesen gibt’s auch weniger als von den weniger edlen Stücken wie Siedfleisch oder Braten. Rund zehn Prozent beträgt der Anteil der Edelstücke am gesamten Fleischgewicht. Wer also Filet kauft, sollte noch mehr Siedfleisch, Voressen oder Braten kaufen. Xar und Xesus ergeben je knapp 200 Kilogramm Fleisch. Dieses wird im Direktverkauf abgesetzt. Vor dem Absetzen allerdings gilt es die Fleischstücke fein säuberlich abzupacken und in kleinen Paketen zu vakuumieren, den Kundenwünschen entsprechend. Verpacken und Vakuumieren ist sowohl bei Zanetti wie auch bei Hatecke möglich. Denn beide Betriebe arbeiten auch eng mit den Direktvermarktern zusammen.

Ja, und so landen Xar und Xesus schlussendlich auf verschiedenen Tellern in diesem Land. Vor allem bei Leuten, die den direkten Kontakt zu den Landwirten schätzen und wissen wollen, woher das Fleisch kommt, das sie essen.

Ausbeineln ist Teamarbeit.
Ausbeineln ist Teamarbeit. © Jürg Wirth
Dann landet das Fleisch im Ofen und schlussendlich auf dem Tisch.
Dann landet das Fleisch im Ofen und schlussendlich auf dem Tisch. © Flavian Cajacob

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