Für nicht Eingeweihte ist La Mottata einfach ein Hügel, nordöstlich von Ramosch an dessen Fusse die Engadiner Strasse verläuft. Von Weitem sticht die leicht gewellte Wiesenfläche ins Auge, die gegen Osten in einen lichteren Wald übergeht und dann zur Strasse abfällt.
Insider aber wissen, unter der Hügelkuppe verbergen sich Siedlungsspuren aus fast 1100 Jahren. Erste Spuren führen in die Frühbronzezeit zurück, in etwa 1700 bis 1600 Jahre vor Christus. Aus dieser Zeit sind beispielsweise Feuerstellen erhalten, die direkt auf dem Felsen angelegt wurden. Weitere Funde lassen sich auf die Mittelbronzezeit, 1600 bis 1400 v. Chr. datieren. Aus der Spätbronzezeit, ca. 1300 Jahre v. Chr., stammen Funde von Tongeschirr, welche den Beginn der Keramikformen aus der Laugen-Melaun-Zeit markieren. Darauf folgen Funde aus der Spätbronzezeit (800 bis 700 Jahre v. Chr.), und schliesslich setzt sich die Geschichte der Besiedlung fort bis ca. 400 Jahre vor Christus. Aus dieser Zeit stammt auch der Grundriss eines 5 x 7 Meter grossen Gebäudes, bestehend aus zwei Steinzügen und mehreren Unterlagsplatten. Diese Angaben deuten darauf hin, so Experten, dass dort einst eine Casa Retica gestanden haben soll.
Dass all diese Erkenntnisse und Funde überhaupt ans Tageslicht gelangten, ist zum grossen Teil auch der Verdienst zweier Einheimischer, nämlich Niculin Bischoff aus Ramosch und Armon Planta aus Scuol. Die beiden fast schon professionellen Freizeitarchäologen begannen 1954 mit systematischen Grabungen und förderten diverse Fundstücke und Besiedlungsreste zutage. Später widmete sich die Archäologin Lotti Stauffer-Isenring 1976 in ihrer bis dahin unveröffentlichten Lizentiatsarbeit an der Universität Zürich ebenfalls der Mottata in Ramosch. Diese Arbeit und das Grübeln in einem aufgeschichteten Erdhaufen weckten definitiv das Interesse des Kantonsarchäologen Thomas Reitmaier. Gemeinsam mit seinem Team beschloss er, die auf verschiedenen Stufen begonnenen Arbeiten zu Ende zu führen und vor allem diese ausführlich zu dokumentieren. Daraus entstanden ist der über 280 Seiten starke Band «Die Mottata bei Ramosch, Aspekte einer prähistorischen Siedlungslandschaft im Unterengadin». Fein säuberlich sind darin sämtliche Funde der letzten Jahrzehnte dokumentiert und die daraus folgenden Erkenntnisse formuliert. Es ist jetzt nicht gerade leichte Lektüre und eher wissenschaftlich gehalten. Doch zwischendurch gibt es immer wieder lichte Stellen, die sich spannend und vor allem äusserst informativ lesen. Also ein Buch für Archäologieprofis und solche, die es noch werden wollen. Oder für Leute, die sich einfach für Archäologie und Geschichte interessieren und vielleicht auch mal zur originalen Fundstelle losziehen möchten. Zu kaufen gibt’s das Buch selbstverständlich auch in der Libreria Poesia Clozza, wo am 3. Mai um 17.00 Uhr auch die Vernissage stattfindet.