In Scuol aufgewachsen, besuchte Nicola Gaudenz nach der Grundschulzeit und dem Gymnasium das Lehrerseminar in Chur und liess sich zum Primarlehrer ausbilden. «Ich war gerne Lehrer», erklärt er, «und habe noch die Ausbildung zum Lehrer für Kinder mit Lernschwächen in Zürich gemacht.» Während fünfzehn Jahren unterrichtete Nicola im Val Müstair. Das Unterrichten von Kindern mit Lernschwierigkeiten sei befriedigend, wenn man die Fortschritte und Entwicklung jedes einzelnen Kindes beobachten könne.
Das Hobby wird zum Beruf
Nicola ist ein Naturmensch. Fischen war schon immer eines seiner liebsten Hobbys, denn dabei konnte er die Natur intensiv erleben. Als sich die Möglichkeit bot, das Hobby zum Beruf zu machen, zögerte er nicht lange und bewarb sich um die Stelle des kantonalen Fischereiaufsehers im Unterengadin und Val Müstair. 2008 erhielt er den Posten zugesprochen und absolvierte die dafür notwendige dreijährige berufsbegleitende Ausbildung, die er mit dem eidgenössischen Diplom für Fischereiaufseher abschloss.
Er habe diesen Schritt nie bereut, die Aufgaben des Fischereiaufsehers seien sehr vielfältig. Es geht nicht nur darum, für den Fischbestand in den einheimischen Gewässern zu sorgen, wie es auch beim Fischen nicht nur um den Fang geht, obwohl die Hauptaufgabe in der Fischaufzucht besteht. In den Flüssen und Bergbächen der Region tummeln sich zu 95 Prozent Bachforellen und fünf Prozent Äschen. Wenn die Bachforellen im Herbst laichreif sind, werden sie in den Schongebieten in Zusammenarbeit mit den Fischereivereinen gefangen und in die Fischzucht nach Müstair gebracht, betäubt und abgestreift, was bedeutet, dass die Eier entnommen, befruchtet und in Brutkästen gehältert werden. Dort werden sie bis nach den Hochwassern aufgezogen, um sie dann in den ursprünglichen Gewässern wieder auszusetzen. Die Äschen hingegen laichen im Frühjahr und sind daher immer etwas unter Zeitdruck. Das Hochwasser während der Schneeschmelze gefährdet die natürliche Entwicklung der Eier.
«Klimatische Ereignisse mit starken Niederschlägen und Murgängen sind kritisch für die Fischpopulation», gibt Nicola zu bedenken. «Die Sedimente verstopfen die Kiemen der Fische, wodurch sie im Extremfall ersticken können.» Es zählt zu den Aufgaben des Fischereiaufsehers, die Gewässer im Auge zu behalten. Arbeiten an Fluss- und Bachbetten brauchen eine Bewilligung und werden später bei der Ausführung vom Fischereiaufseher oder Wildhüter begleitet. Auch die Arbeiten der Kraftwerke müssen besprochen und begleitet werden. Schneedeponien der Gemeinden dürfen nur an bestimmten Stellen in ein Bachbett entsorgt werden, was ebenfalls kontrolliert werden muss.
Die Fischpopulation wird regelmässig auf ihre Entwicklung und Gesundheit geprüft. Das geschieht mithilfe von elektrischen Abfischungen in dafür ausgewählten Teststrecken. Dabei können auch Verletzungen durch die natürlichen Feinde wie Fischotter und Graureiher festgestellt werden. Wer in den kantonalen Gewässern fischen will, braucht ein Patent. Jeder Fischer ist verpflichtet, seine Aktivitäten in einem Statistikbüchlein oder auf dem Handy mittels Fischerei-App zu erfassen: Datum, Gewässerabschnitt, Fischart, Grösse, Anzahl Fische, die aufgrund mangelnder Grösse wieder zurückgesetzt werden. Diese Angaben werden von den Fischereiaufsehern und den Wildhütern regelmässig überprüft.
«Meine Arbeit macht mir sehr viel Freude und lässt mir genügend Spielraum. Ich kann die Tätigkeiten einteilen und bin flexibel, muss jedoch, wie ein Landwirt, auch am Wochenende Arbeiten erledigen.»
«Ich bin auch Imker»
Ob am Ufer eines Flusses oder vor einem summenden Bienenstock, der Blick von Nicola Gaudenz ist immer wachsam. Als Fischereiaufseher sorgt er für das Gleichgewicht in den Gewässern, als Imker betreut er Bienenvölker – die Dunkle Biene (Mellifera mellifera). Beides hat mit der Natur zu tun, die Nicola am Herzen liegt. «Zur Imkerei bin ich zufällig gestossen», erläutert der Fischereiaufseher seine neu entdeckte Leidenschaft. Er habe jeweils einem älteren Imkernachbarn bei der Arbeit geholfen, bis dieser aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste. «Ich habe dann seine Völker zusammen mit einem Kollegen übernommen, und nun produzieren und verkaufen wir unseren eigenen Honig.»
Ob Fische oder Bienen – etwas schwärmt immer in Nicola Gaudenz’ Nähe.