Bald beginnt sie wieder, die grosse Zeit der langen Sommerferien. Dabei dürfen nicht nur die Kinder eine Auszeit der Schule geniessen, sondern auch all die Tiere, die ihr Leben auf den hiesigen Bauernhöfen verbringen. Für sie heisst es, je nach Gattung, ab Ende Mai bis spätestens Mitte Juni «ab auf die Alp».
Über 60 solcher Alpen gibt es in der Region Unterengadin, Val Müstair und Samnaun, und knapp 18'000 Tiere verbringen ihren Sommer dort. Und natürlich kommen die Tiere nicht grundsätzlich wegen der Ferien auf die Alp, sondern aus anderen, triftigeren Gründen.
Eine Frage der Ressourcen
Einer ist die Wirtschaftlichkeit respektive der sorgfältige Umgang mit Ressourcen. Die Bauernbetriebe im Tal verfügen über eine gewisse Fläche an Wiesen und Weiden und halten dementsprechend viele Tiere. Allerdings geht diese Rechnung nur auf, weil die Tiere den Sommer auf der Alp verbringen. Denn während sie auf der Alp sind, fressen sie nicht die Wiesen im Tal leer. Den Bäuerinnen und Bauern bietet sich dabei die Zeit, ihre Wiesen zu mähen und zu Heu oder Siloballen zu verarbeiten und so die Vorräte für den langen Winter zu schaffen, bei dem die Tiere wieder im Stall stehen. Der Tagesablauf verändert sich etwas und die Tagwacht kann auch mal später erfolgen.
Weil die Tiere auf der Alp trotzdem fressen, pflegen sie dabei gleichzeitig die Berg- und Alplandschaften und verhindern die Verbuschung der Täler und Hänge. Den grössten Anteil tragen dabei die Schafe bei, welche die höchsten Partien abweiden, sofern sie dies noch können und ihnen der Wolf diese Arbeit nicht verunmöglicht. Dankbar sind da auch Ziegen, diese mögen Büsche und Stauden.
Und natürlich ist es nicht so, dass die Tiere den Sommer alleine auf der Alp verbringen. Zu jeder Truppe, zu jeder Herde gehört ein Hirte, eine Hirtin, beides oder gar mehrere davon. Die jeweiligen Alpgenossenschaften, zu denen sich meist Bauernbetriebe eines Dorfes zusammenschliessen, engagieren und entlöhnen das Alppersonal. Deren Aufgabe ist es dann, nach dem Vieh zu schauen, Verletzungen oder Verluste zu melden und je nachdem zu pflegen, die Weiden einzuzäunen und die Herden auf die nächste Weidefläche zu treiben, wenn die letzte abgefressen ist. Das Vieh wandert dabei mit dem Graswuchs. Beginnt also nur wenig oberhalb des Dorfes, frisst sich die Talflanken entlang immer höher, bis auf die höchstgelegenen Weiden und beginnt so Ende Juli, anfangs August wieder den langsamen Abstieg ins Tal, dabei immer vor sich hin fressend.
Personal aus dem angrenzenden Ausland
Auch ist die Alpwirtschaft keine Erfindung der Neuzeit, die Archäologen des Kantons Graubünden konnten beweisen, dass bereits vor mehreren tausend Jahren Alpwirtschaft betrieben wurde. Alpwirtschaft existiert, seit es Bauernbetriebe mit Tieren gibt. Noch bis weit hinein ins letzte Jahrhundert wurden dabei auch die Dorfkinder stark eingebunden. Ihre Aufgabe war es, Ziegen und Schafe am Morgen im Dorf zu sammeln und dann tagsüber auf die Weiden oberhalb des Dorfes zu führen und am Abend wieder hinunter. Je länger der Sommer, desto höher die Fressgründe, die einen waren so hoch, dass ein Knabe aus Lavin dabei auch grad noch den Piz Linard bestiegen hat, en passant, sozusagen. Das Hütepersonal für die grösseren Tiere stammte dabei schon fast immer aus dem Ausland. Früher hirteten traditionellerweise Bergamasker oder auch Leute aus Livigno, heutzutage sind es vor allem Südtirolerinnen und Südtiroler oder Deutsche. Gerade im Vinschgau herrscht noch eine eigentliche Hirtentradition, da werden dann auch jüngere Knaben und Mädchen ab 15 bis 16 Jahren als Hilfskräfte auf die Alp geschickt, mit Vorliebe auch auf solche im benachbarten Ausland, sprich in der hiesigen Gegend.
Vielleicht auf die Alp Salet in Valsot, diese ist insofern speziell, als es die einzige Alp in der Region mit Milchschafen ist. 115 Stück werden dort im Schnitt gesömmert. Verbreiteter sind da die Alpen, auf welchen die Milchziegen grasen und gemolken werden, um die Milch dann zu Käse zu verarbeiten. So sömmern beispielsweise auf der Alp Valmala zwischen Ardez und Ftan 114 Ziegen, 95 sind es auf der Ziegenalp im Val Tuoi und gar deren 139 auf der Alp Tea in Valsot. Der Name, so ein kleiner Einschub, hat dabei nichts mit dem Kräuter-Heissgetränk zu tun, sondern bedeutet schlicht und einfach «Hütte». Insgesamt 408 Milchziegen weist die Statistik des Amtes für Landwirtschaft und Geoinformation Graubünden, von dem all die hier genannten Zahlen stammen, für diese Region aus.
Mehr Mutterkühe
Milchkühe gibt es rund dreimal so viel, nämlich 1250 Stück, verteilt auf rund 20 Alpen. Die grösste Alp ist dabei die Alp Laret ob Ftan mit rund 126 Kühen. Dort melken die Hirtinnen und Hirten nicht nur, sie betreiben auch eine urige Alpbeiz und servieren unter anderem herrlichen Kaiserschmarrn. Käsen tun sie selber nicht, denn die Milch fliesst über eine Pipeline in die Käserei im Dorf. Gekäst wird dafür auf den Alpen Praditschöl und Astras im Val S-charl und vielen weiteren. Und dies, so lässt sich mit Fug und Recht behaupten, ist dann die anstrengendste Variante des Alplebens für das Personal. Der Tag beginnt schon früh, je nach Senn zwischen 2.30 oder 3.30 Uhr am Morgen. Dann heisst es, Kühe von der Weide holen, melken, dann Kühe wieder auf die Weide bringen, die Käse vom Vortag auspacken, Käsen, putzen, kochen, Mittagsschlaf, zäunen, nach dem Vieh schauen, melken, essen und dann endlich ins Bett. Ebenfalls nicht ohne ist es auf den Schafalpen, da diese, wie beschrieben, die obersten Stufen der Berge beweiden, aber trotzdem beaufsichtigt werden müssen. Was lange Wege für das Alppersonal zur Folge hat. Es ist denn auch so, dass längst nicht alle Hirtinnen und Hirten den Alpsommer auch zu Ende bringen, der eine oder die andere verlässt den Arbeitsplatz frühzeitig, ernüchtert von der strengen Arbeit und der dann noch nicht immer so präsenten Alpromantik.
Strenge Arbeit
Für Neueinsteiger im Alpgeschäft empfiehlt sich deshalb eine Jungvieh- oder Rinderalp. Das ist zwar auch noch streng. Doch die Gehdistanzen sind noch überschaubar, und die Arbeiten mit Zäunen und Rinder zu kontrollieren, einigermassen strukturiert. Jungvieh, Rinder und Kälber weiden rund 4900 Stück auf den Alpen, dazu kommen noch etwa 2100 Mutterkühe mit ihren Kälbern. Dort ist es leider so, dass immer wieder Unfälle passieren, bei denen die Kühe Wanderer*innen oder andere Gäste angreifen, weil diese das Kälbchen streicheln möchten oder weil sich der Hund zu stark für das kleine Tier interessiert. Verschiedene Massnahmen können da Abhilfe schaffen. Die einfachste ist diejenige, bei der die Kühe im Tal kalben. Sind denn die Kälber auf der Alp schon älter, sinkt die Gefahr eines Angriffs durch die Mutter rapide, da sie das grössere Tier nicht mehr so stark beschützen muss. Kalben die Kühe dennoch auf der Alp, müssen sie dies in einem stabilen und genügend grossen Gehege tun. Dann wäre da noch die Sache mit dem Hund. Diesen darf man in einer Mutterkuhherde nie und nimmer von der Leine lassen, einfach nicht. Und was auch immer hilft, ist ein stabiler Stock, zum Beispiel aus Haselnuss, nicht einfach nur einer dieser Wanderstöcke. Sollte einem eine Kuh zu nahe kommen, kann man zwecks Durchsetzung der Autorität der Kuh auch mal eines auf den Kopf zwicken, dieser ist ziemlich stabil und geht nicht so leicht kaputt.
Wäre doch schade, wenn die langen Sommerferien durch Unglücke und Zwischenfälle getrübt würden, sowohl für die Tiere als auch für die Menschen.