Die Jagd dauert länger als drei Wochen

Jürg Wirth Armon Schlegel ist Jäger mit Leib und Seele und bildet auch Jungjäger*innen aus. Im Interview erklärt er, wieso er Tiere schiesst oder welche moralischen und ethischen Grundsätze Jagdbegeisterte haben sollten.

Wieso erschiessen Sie Tiere?

Das ist eine gute Frage, die allerdings zu kurz greift. Denn wenn das Thema Jagd aufkommt, geht es immer nur ums Schiessen. Bezogen auf die gesamte Jagd ist das Schiessen jedoch nur ein kleiner Teil.

Aber ja, es geht um ethische, philosophische und moralische Fragen und es ist durchaus gut, wenn sich die Jäger*innen diese Fragen stellen. So auch, ob ich ein Tier töten darf.

Und dürfen Sie?

Ich sage ja, allerdings muss ich es möglichst schmerzfrei töten. Dies gelingt unter anderem, wenn die Waffe gut eingeschossen ist und ich über Ballistik und Anatomie des Tieres Bescheid weiss.

Wie erklären Sie jemandem aus dem Unterland, weshalb Jagd sinnvoll ist?

Weil die Jagd der Sicherung der Lebensräume der Tiere dient. Dank der Bestandesregulierung finden die anderen Tiere Schutz und Nahrung, der Schutzwald bleibt intakt und die Biodiversität erhalten. Wenn wir gewisse Arten, wie beispielsweise den Fuchs dezimieren, geben wir dafür den Bodenbrütern mehr Überlebenschancen. Aber auch die Nutzung des Wildfleischs ist ein wichtiger Aspekt bei der Jagd.

Das Problem bei im Unterland lebenden Personen ist jedoch, dass bei der urbanen Schicht diese Zusammenhänge teilweise verloren gegangen sind und sie sich oft naturromantischen Schwärmereien hingeben.

Und was macht die Faszination der Jagd aus?

Dazu gehört sicherlich, dass man alle Zusammenhänge sieht und auch begreift. Zum Beispiel wenn ich eine Geiss schiesse, die niemand schiessen will, weil sie keine schöne Trophäe hat. Ich habe da aber Freude. Die Freude ist tiefsitzend, weil ich das Richtige getan habe. Denn so trage ich aktiv dazu bei, die Population zu regulieren, weil bereits nächstes Jahr so drei Tiere wegfallen und die Konkurrenz und Stress im Bestand verringert wird. Bei einem Bock wäre es bloss eines.

Kann man Jagen alleine und während der Jägerausbildung lernen oder muss man dazu in Jägerfamilien geboren werden und mit Vater und Grossvater mit auf die Jagd gehen?

Dazu muss ich sagen, dass ich Jungjäger*innen ausbilde. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass diejenigen, die nicht aus Jägerfamilien kommen, viel mehr Interesse zeigen, auch für die Zusammenhänge. Sie stellen bessere Fragen und hinterfragen die Jagd eher. Sie jagen beispielsweise, weil sie wissen wollen, woher das Fleisch kommt, das sie essen. Die Jäger aus Jagdfamilien hingegen wollen primär Jagd machen und Tiere schiessen, ohne gross die Jagd zu hinterfragen.

Ein weiterer Sinneswandel zeichnet sich hier aber auch ab, weil es immer mehr Jägerinnen gibt. Dieses Jahr sind über die Hälfte der Jagdkandidat*innen Frauen.

Wie schwierig sind Ausbildung und Prüfung? Schaffen das alle, die wollen oder wird tatsächlich gesiebt?

Ehrlich gesagt habe ich das Gefühl, dass die Prüfungen zu einfach sind. 90 Prozent derjenigen, die antreten, schaffen die Prüfung. Die grösste Selektion findet beim Schiessen statt, allerdings darf man da insgesamt acht Mal probieren.

Die Ausbildung hingegen ist durchaus anspruchsvoll. Wohl braucht man nicht alles davon auf der Jagd, fürs Leben aber hilft die Jagdausbildung sicher auch.

Was macht einen guten Jäger oder eine gute Jägerin aus?

Die weidmännischen Tugenden spielen da eine wichtige Rolle, die Ethik auch. Das heisst Selbstbeschränkung, dass man beispielsweise bei der Waffe nicht die ganze Technik ausnutzen soll und etwa auf Nachtsichtgeräte verzichtet. Sehe ich beispielsweise ein Rudel Hirsche in einer Mulde, muss ich ja nicht gleich alle schiessen, auch wenn ich könnte. Sich selbst zu beschränken ist für mich zentral.

Auch finde ich es schade, wenn die Jagd zum Sport verkommt und es nur noch darum geht, wer die grössten, schönsten und meisten Tiere schiesst.

Deshalb ist es wichtig, wenn das Brauchtum gepflegt wird mit dem letzten Bissen und der Palorma.

Heisst konkret?

Dabei legen Jäger*innen dem toten Tier einen Tannenzweig oder Gras als letzte Bissen in den Mund und erweisen ihm den Respekt mit dem Abschiedsschnaps, dem Palorma. Wo Brauchtum gepflegt wird, werden Jäger auch daran erinnert, dass ein Abschuss die Entnahme eines Lebens aus dem Kreislauf der Natur bedeutet. Dies kann somit nicht mehr leichtfertig passieren.

Welches sind für Sie die schönsten Momente auf der Jagd?

Sicher das Zusammensein in der Gruppe, wenn das ohne Neid möglich ist. Genauso aber auch alleine unterwegs zu sein, wo du nur noch intuitiv und instinktiv handelst, dem Tier hinterherpirschst.

Seit wann sind Sie Jäger?

Wahrscheinlich schon mein ganzes Leben lang. Früher habe ich meinen Vater begleitet. Aber selbst, mit Gewehr und Patent, gehe ich erst seit 2010.

Wie viel wird tatsächlich getrunken auf den Hütten?

Das ist ganz unterschiedlich, aber sicher nicht so viel, wie die Nichtjagenden meinen. Schliesslich muss man um 4.30 Uhr wieder fit sein, um zwei Stunden den Berg hochlaufen zu können. Bei uns sind das so ein, zwei Bierchen zum Apéro und dann noch ein Glas Rotwein zum Essen.

Und wie gefährlich ist die Jagd für die anderen Jäger*innen, Stichwort Jagdunfälle?

Ich staune immer wieder, wie wenig eigentlich passiert, schliesslich gehen rund 5000 bis 6000 Jäger*innen auf die Jagd. Dabei gibt es ein, zwei Unfälle mit Waffen und ab und zu kommt es vor, dass Jäger*innen ausrutschen und abstürzen, primär auf der Steinbockjagd. Grundsätzlich aber passiert weniger als es die Medien proklamieren.

Die Jagd ist streng reglementiert, werden da die Jäger automatisch auch zu Polizisten oder haben Sie auch schon Dinge gesehen, die nicht erlaubt waren und trotzdem niemanden verpfiffen?

Wenn du schiesst, ist es tatsächlich nicht nur der Wildhüter, der schaut, sondern ganz viele andere Augen. Schiesst du hingegen falsch, machst du dich nicht zwingend strafbar. Zeigst du dich selbst an, kommst du mit einer Strafe von CHF 150 bis 400 davon. Dies ist insofern gut, als die Vorschriften streng sind und schnell etwas Unerlaubtes passiert ist, also ein Tier geschossen, das noch ein wenig zu jung, zu alt, zu gross oder zu klein war. Dank der Möglichkeit der Selbstanzeige und den vielen Augen gibt es kaum mehr Wilderei.

Die Hochjagd in Graubünden dauert drei Wochen im September, was macht ein Jäger oder eine Jägerin die restliche Zeit vom Jahr?

Da ist zum Beispiel die Hegearbeit. Oder Wiesen in Lichtungen mähen, damit wieder gutes Futter wächst. Rehkitzrettung ist ebenfalls wichtig. Zudem engagiere ich mich in der Ausbildung der Jungjäger*innen. Mich beschäftigt die Jagd das ganze Jahr. Deshalb enttäuschen mich diejenigen, die von sich behaupten, grosse Jäger*innen zu sein, dann aber nur drei Wochen auf die Jagd gehen. Das ist respektlos, denn die Jagd dauert länger als drei Wochen.

Wie ist das mit dem Ansalzen?

Wenn du willst, dass die Tiere in deinem Gebiet bleiben, dann sollte man ansalzen. Allerdings muss man das dem Wildhüter melden. Die Lockjagd allgemein (mit Salz) hingegen ist verboten.

Welches Tier schmeckt am besten?

Das kommt auch darauf an, wie man es macht. Ich mag am liebsten Rehfleisch, weil das eher neutral im Geschmack ist. Doch auch ein junger Hirsch schmeckt ausgezeichnet. Grundsätzlich spürt man bei Wildfleisch, dass die Tiere das ganze Jahr über draussen leben.

Was war Ihr grösster Jagderfolg?

Das war kein Schuss, sondern die Sichtung eines weissen Eichhörnchens. Dieses konnte ich über längere Zeit beobachten, was sehr eindrücklich war.

Vor zwei Jahren schoss ich zwei grosse Hirsche, das war auch sehr schön.

Armon Schlegel ist Journalist bei RTR, verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Söhnen. Auf die Jagd geht er praktisch schon sein ganzes Leben lang. Zuerst begleitete er seinen Vater, seit 2010 geht er selbst mit Gewehr und Patent. Mittlerweile engagiert er sich auch in der Ausbildung des Jagdnachwuchses.

Armon Schlegel mit prächtigem Hirsch.
Armon Schlegel mit prächtigem Hirsch. © zvg
Respekt vor dem Tier ist wichtig.
Respekt vor dem Tier ist wichtig. © zvg

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