Wie lebt es sich als lästigstes Tier der Erde?
Das ist natürlich etwas Ansichtssache, wir selber empfinden uns ja nicht als lästig, wir sind einfach überall. Überall ausser in Wüsten, in polaren oder hochalpinen Landschaften. Unser Vorteil ist, dass wir extrem anpassungsfähig sind und mit wenig auskommen.
Euch genügt eigentlich Abfall zum Überleben, oder?
Ja, das stimmt grundsätzlich und da könnt ihr Menschen auch froh sein darüber. Sehr gerne legen wir unsere Larven in eine Vielzahl verrottender organischer Stoffe. Die Larven ernähren sich von den Abfällen und entwickeln sich dabei blendend und gleichzeitig vermindert sich die Abfallmenge, was sich durchaus noch grossflächiger anwenden liesse.
Und die Larven entwickeln sich dabei zu wichtigen Proteinquellen?
Genau. In der EU sind die Larven bereits für den Einsatz in der Aquakultur, also beispielsweise der Fischzucht, zugelassen. Die Larven werden den aufzuziehenden Fischen verfüttert und dienen als Ersatz für Fischmehl.
Allerdings mögt ihr nicht nur Abfall, sondern auch …
Ich ahne, worauf Sie hinaus möchten ... Ja, nebst dem Abfall haben wir eine Vorliebe für menschliche und tierische Körperausscheidungen wie Schweiss und Kot, sowie eiternde Wunden, auch Aas mögen wir sehr gerne. Deshalb sieht man uns ausnahmslos auf jedem toten Tier. Da lassen wir uns weder vom Bartgeier noch von der Hyäne oder anderen Aasfressern vertreiben.
Dafür setzt ihr euch dann anschliessend umso lieber wieder auf die Menschen und bringt noch einige Krankheiten mit?
Das machen wir natürlich nicht extra oder aus böser Absicht, aber ja, es stimmt, seit Menschengedenken sind wir die Krankheitsüberträger par excellence.
Egal ob Ruhr, Typhus, Cholera, Salmonellosen, Kinderlähmung, ja, sogar die Maul- und Klauenseuche, wir übertragen alles. Übertragen tun wir die Krankheiten immer mittels unserer Ausscheidungen, vornehm ausgedrückt.
Deshalb werdet ihr auch als Schädlinge klassifiziert?
Ja, das ist tatsächlich so und auch etwas kränkend, denn wir sind ja nicht unrein, sondern putzen uns regelmässig, beispielsweise durch leichtes Aneinanderreiben der Vorderbeine.
Eine Bewegung, welche damals die Schweizer Pantomime-Truppe Mummenschanz genau studiert und dann auch aufgeführt hat.
Genau, das hat uns natürlich sehr geehrt, erstens weil wir derart genau beobachtet wurden, und zweitens, weil dabei fast ein wenig der «Jöh-Effekt» aufkam.
Versteh ich, mit dem «Jöh-Effekt» werdet ihr sonst selten in Zusammenhang gebracht.
In der Tat, den Gipfel der Verdammnis hat quasi der Schriftsteller Mark Twain erbracht, der auch bekannt ist durch sein Buch über Tom Sawyer und Huckleberry Finn. So schrieb er 1906 in Die Vormachtstellung der Stubenfliege: «Noch nie ist ein Geschöpf erschaffen worden, das dem Menschen auf Augenhöhe begegnet, ihn verhöhnen und ihm trotzen konnte – mit Ausnahme der Stubenfliege.» Sein Elaborat mündet dann darin, dass er gar Schlangen und Spinnen verschonen würde, jedoch alles beiseitelegte, nur um eine Fliege zu töten, auch wenn es die letzte gewesen wäre.
Gar nicht schön. Zur Ehrenrettung muss man aber auch sagen, dass ihr in der Forschung schon lange eine wichtige Rolle spielt.
Ja, danke. Allerdings sind das nicht wir Stubenfliegen, sondern unsere kleineren Verwandten, die Fruchtfliegen, die sich mit Vorliebe auf Früchten breitmachen.
1901 tauchten die ersten Fruchtfliegen in den Labors auf. Damals begann Williams E. Castle, Forscher an der Harvard-Universität mit Fruchtfliegen zu experimentieren. Ihr grosser Vorteil war und ist, dass sie sich sehr rasch fortpflanzen. Deshalb war die Fruchtfliege das ideale Modell, um die ganze Chromosomentheorie zu entwickeln und zu bestätigen. Bei 16 Grad Celsius schlüpfen die Larven in 46 Stunden, bei 19 Grad in 19 Stunden und bei 30 Grad in nur 10 Stunden.
… und Augen habt ihr, das gibt’s gar nicht.
Facettenaugen nennen wir diese. Jedes Facettenauge ist aus 3000 Einzelaugen zusammengesetzt, das erlaubt es uns, extrem vielfältig zu sehen, weil unserem Gehirn zweihundert Bilder pro Sekunde übertragen werden. Ihr Menschen schafft es lediglich auf 50 bis 60 Bilder pro Sekunde.
Seid ihr deswegen so schwer zu treffen, wenn man euch totschlagen will?
Sicher auch, aber wir spüren auch jeden Luftzug, dank unserer feinen Rezeptoren an den Beinen. Mit diesen können wir auch Geschmäcker wahrnehmen, am liebsten solche von potenzieller Nahrung.
Also bloss mit der Hand zuschlagen bringt nicht viel?
Eher nicht, da sind wir meistens schneller. Heimtückisch finde ich die Variante, bei der die Menschen Ring- und Zeigefinger langsam auf unsere Höhe schieben. Den Mittelfinger mit einem Finger der anderen Hand in die Höhe ziehen und ihn wie einen Abzug spannen und dann abrupt loslassen. Mit so etwas rechnet man einfach nicht. Aber wenn uns niemand erwischt, können wir bis zu 70 Tage alt werden.
Ah, danke für den Tipp. Und wie bringt man euch wieder aus dem Haus, wenn ihr dieses befallen habt?
Ich wäre ja blöd, wenn ich da jetzt etwas sagen würde, schliesslich sind wir gerne drinnen, vor allem, wenn's draussen etwas kälter ist. Am liebsten mögen wir Temperaturen um 20 Grad, da fühlen wir uns pudelwohl und vermehren uns auch kräftig.
Umso mehr müsste man euch wegbringen. Ich habe beobachtet, dass ihr Durchzug nicht mögt und gewisse Gerüche auch nicht, stimmt's?
Wie bereits vorhin gesagt, möchte ich mich zu diesem Thema nicht äussern.
Nicht nur Wohnungen mögt ihr gerne, sondern auch Autoinnenräume. Für wie viele Unfälle seid ihr eigentlich verantwortlich?
Keine Ahnung, interessiert mich auch nicht so. Was können wir dafür, wenn die Menschen plötzlich wie wild umher zu schlagen beginnen und sich nicht mehr aufs Autofahren konzentrieren. Sie würden gescheiter einfach alle Fenster öffnen, denn Durchzug… oh jetzt, habe ich mich verplappert.
Grandios ist diesbezüglich der Kurzfilm Die Fliege von Regisseur Olly Williams aus dem Jahr 2015…
Den kenn ich, der ist wirklich sensationell, wenn auch nichts für schwache Nerven. Aber nirgendwo zeigt sich besser, dass wir, obwohl wir so klein und unscheinbar sind, doch grosse Macht ausüben können.
Na ja, unscheinbar, euer Surren ist sehr lästig, vor allem in spannenden Situationen.
Ich weiss, deshalb dreht der Fluchtautofahrer am Schluss auch komplett durch und versucht, die Fliege mit seiner Pumpgun zu erschiessen. Zerstört dabei aber das Fluchtauto und lockt die Polizei auf die Fährte der Bankräuber …
Eben doch lästig …
Das kommt doch darauf an, wie sich das Gegenüber verhält. Etwas mehr Coolness und Lockerheit diesbezüglich hat noch nie geschadet.