Wo heute Radfahrende schnaufend die Pässe und Berge erklimmen und Wandernde einen sagenhaften Rundblick geniessen, standen sich vor über hundert Jahren Soldaten aus drei Nationen mit geladenen Gewehren gegenüber. Auf dem Pass Umbrail, dem Stilfserjoch und dem Piz da las Trais Linguas (Dreisprachenspitze) trafen im Ersten Weltkrieg die Soldaten der Schweiz auf die Alpini Italiens und die Standschützen Österreich-Ungarns und bewachten eine Grenze, die sich ab Frühsommer 1915 zu einem lokalen Pulverfass entwickelte.
Die Front rückte bis an den damals höchsten befahrbaren Alpenpass heran. Auf der einen Seite italienische Soldaten, auf der anderen österreichisch-ungarische Truppen – dazwischen die neutrale Schweiz. Der schmale Grat wird zur Nahtstelle von zwei kriegführenden Mächten, beobachtet von schweizerischen Grenzschutztruppen. Die gemeinsamen Grenzen werden zum Schauplatz militärischer Befestigungen, Stellungen und Beobachtungsposten. Schüsse fielen hier selten, aber der Krieg war zum Greifen nah – während vier Jahren, Sommer und Winter, auf einer unvorstellbaren Frontlinie auf 3000 m ü. M. Die körperlichen Leistungen und damit verbundenen Entbehrungen der Soldaten finden in der Kriegsgeschichte nur wenig Vergleichbares. Und doch gab es auch Momente der Menschlichkeit. Bittere Kälte und knappe Vorräte setzten zu. So kam es vor, dass man sich gegenseitig half – über die Grenzen hinweg, denn auch «Feinde» waren Menschen.
Heute erinnern die militärhistorischen Wanderwege auf dem Pass Umbrail und dem Stilfserjoch sowie das Museum 14/18 in Sta. Maria an diese Zeit, die dank grosszügiger Sponsoren und der Initiative und Tatkraft freiwilliger Helfer des Vereins «Stelvio-Umbrail 14/18» seit rund 25 Jahren begangen und besichtigt werden können.
In diesem Jahr neu beschildert und frisch markiert, schreitet man auf diesen Pfaden auf den Spuren jener Soldaten, findet Mauerreste von Unterständen und Stollen. Sie erzählen von Angst, Kälte und Entbehrung. Von jungen Männern und Familienvätern, die nicht freiwillig hier standen.
Ein Jahrhundert später scheint die Menschheit nichts dazugelernt zu haben. Kriege brennen erneut mitten in Europa und weltweit – mit Leid, Flucht und Zerstörung. Der Umbrail ist auch ein Mahnmal und lehrt uns zweierlei: Schönheit und Frieden sind zerbrechlich – es gilt, dies nicht zu vergessen und dazu Sorge zu tragen. Die Geschichte darf sich nicht wiederholen.
Geführte Wanderungen auf den militärhistorischen Wanderwegen und die Besichtigung des Museums 14/18 seien hier wärmstens empfohlen.