Bedeutung der Seenplatte Macun und Eingliederung in den Nationalpark
Das Gebiet auf über 2600 m ü. M. war schon immer von grosser Bedeutung für die Einheimischen von Lavin, wie der ehemalige Gemeindepräsident und spätere Präsident der Eidgenössischen Nationalparkkommission (ENPK) Robert Giacometti berichtet. Seine Erinnerungen reichen weit zurück bis in die Kindheit, in der er oft in drei Generationen zum Lai dal Dragun wanderte und die vielfältigen Geschichten seiner Grossmutter lauschte. Giacometti war als Gemeindepräsident von Lavin nebst dem Direktor des SNP Heinrich Haller eine der treibenden Kräfte hinter der diskutierten Erweiterung des SNP Ende des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit weiteren Unterstützern wie Duri Bezzola und dem gesamten Gemeindevorstand von Lavin setzte er sich entschieden für das Vorhaben ein. Dank dem grossen Engagement verliefen die Gemeindeversammlungen zur Nationalparkerweiterung in Lavin respektvoll und in einem friedlichen Rahmen. So entschied der Souverän am 27. Mai 1999 trotz kritischer Fragen und einiger Kompromisse – etwa dem Rundwanderweg auf Macun – zugunsten der Kernzone Macun. Am 1. August 2000 wurde die Seenplatte Macun schliesslich offiziell in den SNP integriert.
Vor dieser Eingliederung in den SNP wurde das Gebiet rege für Landwirtschaft, Jagd und Fischerei genutzt. So weideten jährlich zwanzig bis dreissig Rinder während vier bis sechs Wochen auf Macun. Für die Fischerei wurden ab 1964 in den beiden grossen Seen – dem Lai Grond und dem Lai da la Mezza Glüna – sowie ab 1972 auch in drei kleineren Seen bis ins Jahr 1993 Fische ausgesetzt. Während des Zweiten Weltkriegs war Macun zudem als Beobachtungsposten für die Fliegerabwehr von strategischer Bedeutung für die ganze Schweiz. Die Hütte, in der heute die Forschenden nächtigen, wurde damals vom Militär errichtet. Und 1976 planten die Engadiner Kraftwerke sogar den Bau eines Pumpspeicherwerks und damit eine umfassende Nutzung der Gewässer für menschliche Zwecke. Die Pläne wurden aus heutiger Sicht zum Glück wieder fallengelassen.
Schutz und wissenschaftliche Erforschung
Mit der Eingliederung in den SNP ist das Gebiet seit dem Jahr 2000 vor menschlichen Einflüssen weitgehend geschützt. Auch Forschende dürfen die Wanderwege auf Macun nur während einer Woche im Jahr verlassen, um Daten für ihre Untersuchungen zu erheben. Dank dieser Forschung kennen wir heute bestimmte Aspekte des Zustands und der Veränderungen dieses alpinen Ökosystems im Detail. So wurde beispielsweise ab dem Jahr 2010 im südlichen Einzugsgebiet von Macun ein deutlicher Wandel in der Artenzusammensetzung der Gewässerlebewesen festgestellt. Diese Entwicklung geht mit Veränderungen in der Wasserchemie einher, die auf eine abnehmende Schmelzwasserzufuhr aus den Blockgletschern hinweisen. Das lässt wiederum auf den Einfluss steigender Lufttemperaturen auf die Permafrostkörper schliessen. Zudem weisen die kontinuierlich vermessenen, grösseren Seen auf Macun im Sommer einen ähnlichen Erwärmungstrend wie die Luft auf. Deren Temperatur ist seit dem Jahr 2000 um circa 0,4 °C pro Dekade angestiegen. Aktuell sind an die Kälte angepasste, wirbellose Lebewesen in den Seen noch vorhanden. Allerdings droht mit steigender Wassertemperatur ihr Verschwinden. Möglicherweise wandern Arten aus tieferen Lagen ein. Ob dies die Artenvielfalt der Macun-Seen bereichern oder die bestehenden Ökosysteme destabilisieren wird, wissen wir heute noch nicht.
Wissenschaftliche Einblicke aus erster Hand
Das Anfang Herbst erscheinende Buch «Alpine Ökosysteme im Schweizerischen Nationalpark – die Seenplatte Macun» (Haupt-Verlag) fasst den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über Macun anschaulich und reich illustriert zusammen. Auch wenn noch viele Fragen offen sind, eines ist klar: Selbst der strenge Schutz im SNP kann die alpinen Ökosysteme nicht vollständig vor menschlichen Einflüssen wie z. B. den Auswirkungen des Klimawandels bewahren. Langfristige, naturwissenschaftliche Forschung ist deshalb zentral, um den Zustand dieser sensiblen Lebensräume zu erfassen und zu dokumentieren. Nur so können wir die ökologischen Prozesse sowie die mit dem Klimawandel verbundenen Veränderungen besser verstehen.